Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein Freund der Erde

Ein Freund der Erde

Titel: Ein Freund der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
Vom Netzwerk:
fransige Plastikbanner in Rosa und Orange flatterten, wüst aufgehäufte Erdberge. Und eine Planierraupe. Eine große, fette D7-Raupe, die reglos im grauen Schleier der Dämmerung dastand, die Sonne zog sich gerade in den Abfluß des Himmels zurück, ansonsten vertrocknete Büsche und die verkrüppelten Finger der ramponierten Bäume. Tierwater nahm dieses Bild auf, ein verschwommenes Stilleben, und im selben Moment sah er sich in seinem Zentrum, so daß er Teo auf einmal ins Lenkrad griff. »Halten wir da an«, sagte er.
    Teo, dessen Kiefer unterhalb des blonden Strubbelkopfs permanent kauten, schien erschrocken. Aber nur kurz. Tierwater sah, wie sein Blick sich aufhellte, seine Hände sich auf dem Lenkrad entspannten. »Mußt du pinkeln, Ty?« Ein Seitenblick zu Andrea, der Ansatz eines Grinsens. »Deswegen?«
    Nichts. Tierwater starrte aus dem Fenster, aber er hielt das Lenkrad weiter fest gepackt, und im nächsten Moment wurden sie langsamer, die Reifen sangen ein neues Lied auf den rumpligen Wellen der Ausfahrtsrampe. »Da drüben«, hörte sich Tierwater sagen, »da auf der Kreuzung, gleich hinter der Planierraupe.«
    »Warte mal, Ty«, sagte Andrea und legte ihm die Hände auf die Schultern, süßer Atem und besorgter Blick, »du willst doch nicht etwa...?«
    Aber Tierwater war bereits ausgestiegen, die Hitze schlug ihm ins Gesicht, Eidechsen huschten in Deckung, und er tastete nach den Streichhölzern, die er beiläufig aus dem Aschenbecher des Rest Ye May mitgenommen hatte. Sie hatten seine Tochter, er dachte an nichts anderes – sie hatten ihn , und zwar bei den Eiern –, und jetzt würden sie dafür bezahlen, jetzt und für immer. »Ty!« brüllte Andrea, sie war auch aus dem Auto geklettert, ein Windstoß aus dem Nirgendwo wehte ihr das perfekte Haar ins Gesicht, während die grauen Wagen auf der Autobahn dem steten Puls der eigenen Scheinwerfer hinterherjagten. Die Welt war grau, ausgewaschen, bar aller Farben und Konturen. Konnten sie ihn sehen? Konnten sie sehen, was er tat, was er vorhatte? (In diesem Augenblick, muß ich gestehen, war mir das ehrlich egal – sie hatten mich schwer getroffen, und ich war bereit zurückzuschlagen, scheiß auf die Konsequenzen.)
    Er hielt den Kopf suchend gesenkt, spähte nach einem Stück Papier, das er in den Tank stecken konnte als Zündschnur, die ihm zehn Sekunden geben würde, denn mehr Zeit brauchte er nicht, und Andrea schrie: »Ty! Ty, mach keinen Quatsch!« Überall lag Abfall herum. Natürlich – hatte er was anderes erwartet? Er bückte sich mechanisch danach: Papier, Kaffeebecher, Dosen, Flaschen, und da lag auch, was er suchte – ein rostfarbener Lappen voller Motorölflecken. Es dauerte eine Weile, bis er den Treibstofftank gefunden und den Deckel abgeschraubt hatte – Andrea saß jetzt wieder im Wagen, auf dem Rücksitz, ihr Gesicht war ganz klein geworden, eine fahle Zwiebel, hinter dem getönten Glas konserviert, am besten sofort einpflanzen und auf die Blüte im Frühjahr hoffen –, dann hielt er ein Streichholz an den Lappen, und eine hauchdünne, pechschwarze Rauchsäule ringelte sich empor.
    Da rannte er längst, neununddreißig Jahre alt und bis zu den Augäpfeln mit Hypotheken verschuldet, mit einem kaputten rechten Knie, schmerzenden Zähnen und Haar, das täglich die Wanderung vom Kopf in den Kamm unternahm, aber er hörte nicht auf zu rennen, ehe er im Auto saß, und dann raste das Auto auf der Straße davon, während die funkelnagelneue D7-Raupe hinter ihnen Feuer spie wie ein Drache – gelb, orange und rot.

Santa Ynez, November 2025
    Wir lachen. Es fühlt sich gut an, richtig gut, sich vormittags um Viertel nach zehn mit billigem Sake zu besaufen, auch wenn meine Nase rinnt und mein Kopf volläuft wie ein Wassersack (das liegt natürlich am Wetter, alle hocken ständig in den Häusern, die große Biomasse der Menschheit ist eine saftige, schnüffelnde, müffelnde Brutstätte für die gerissenen geduldigen Viren, und ich hoffe nur, daß es nicht die Mucosapest ist, die ein Comeback plant. Aber das ist eben das Aufregende am Leben auf diesem morschen Planeten: man weiß nie, welcher Schnupfen der letzte ist). Und mein Arm – den haben sie infundiert, bepudert, genäht und verbunden, und von dort meldet sich kein Schmerz. Jedenfalls noch nicht. Vielmehr fühlt sich der Arm an, als gehörte er gar nicht zu mir, und so packe ich mein Hinterteil auf den Küchentisch und leere ein Gläschen mit vergorenem Reiswein nach dem anderen, ein

Weitere Kostenlose Bücher