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Ein Freund der Erde

Ein Freund der Erde

Titel: Ein Freund der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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ließ ihn fliegen und flattern, hielt ihn auf Distanz und von weiterem Schaden fern.
    Tierwater dachte gar nichts, seine Haltung war defensiv, aber seine Tochter war jetzt hinter ihm, und Andrea saß plötzlich hinter dem Lenkrad des kackbraunen Wagens und brüllte: »Ty, Ty!« Er drehte sich zu Sierra um. Ihr Gesicht war blutleer, ihr Blick ratlos. Sie sah über die Schulter zu Andrea, dann wieder auf die zwei Mädchen auf dem Rasen, das türkisfarbene Haus und den Bauinspektor, der sich auf dem Asphalt wälzte, mit beiden Händen seinen Hals umfassend, ehe sie mit einem kleinen, triumphierenden Lächeln auf den Lippen zum Auto rannte. Der siegesberauschte Tierwater, auf den gerade wieder der Footballchampion losging – mit einem spastischen Sprung, wie er ihn vielleicht beim Tackling an einer Trainingspuppe probieren würde –, wich dem Angriff geschickt aus, versetzte sicherheitshalber dem Hund noch einen saftigen Tritt, der ihn unter verblüfftem Jaulen in den Graben segeln ließ. Und was tat es schon, daß er sah, wie sich die Lippen der zwei dürren Mädchen bewegten, als sie seine Autonummer vor sich hersagten, um sie im Gedächtnis abzuspeichern? Na und?
    Er hatte seine Tochter zurück, und niemand würde sie ihm je wieder wegnehmen.
    Auf den ersten fünfzehn Kilometern sagte keiner ein Wort. Das Benzin sauste durch den Vergaser, die Reifen quietschten, Andrea trat voll aufs Gas und riß mit hektischen Bewegungen ihrer großen Hände am Lenkrad, und alles – Farmhäuser, überladene Pickups, Hemden, Gesichter, Wäsche auf der Leine, Baumrinde, Äste, Blätter – raste an den Fenstern vorbei wie die Bilder beim Mischen von Spielkarten. Sie fuhr zu schnell, warf gehetzte Blicke in den Rückspiegel, der geliehene Wagen donnerte eine Landstraße nach der anderen entlang, und es gab auch nichts zu sagen. Denn was sie taten, war kein gewaltloser Widerstand, kein friedlicher Protest mehr, keine schlichte Mißachtung eines Gerichtsbeschlusses und auch keine vorsätzliche Zerstörung von Privateigentum entlang der Interstate 5 – es war Ernst. Tierwater wußte es, Andrea wußte es, und auch Sierra, die sich auf dem Rücksitz an ihn klammerte und zwischen dem leisen, heiseren Rasseln ihrer Schluchzer nach Atem rang, mußte es wissen. Einen Weg zurück gab es jetzt nicht mehr.
    Sie fuhren weiter. Eine Weide tauchte auf und verschwand wieder, zwei Pferde, ein Bachdurchlaß, eine schmale Brücke. Andrea schlingerte durch mehrere S-Kurven, der Wagen war wie ein großes ruderloses Boot, das die Stromschnellen eines wilden Flusses hinabschoß, bis Tierwater das Schweigen irgendwann mit einer konkreten Frage durchbrach: »Wo fahren wir hin?«
    Sie warf ihm einen grimmigen Blick zu, ihre Augen glänzten und traten leicht hervor. »Weg von hier, was glaubst du denn? Du warst es doch – wenn du nicht so stur gewesen wärst, wenn du nicht... du mußtest sie ja unbedingt sehen, was? Konntest es nicht einfach gut sein lassen. Ich hab dir gesagt, daß sich Fred um die Sache kümmern wird, oder?«
    »Fred!« fauchte er und erdrückte den Namen nahezu unter der Last seines Ekels. Er hatte den Kopf nicht länger eingezogen. Die Landschaft flog vorbei. Er hatte Angst, natürlich hatte er die, aber er fühlte sich auch animiert – er hatte gehandelt, endlich gehandelt –, und sein Herz raste schneller als der gequälte Motor des Chevy Nova. Er war aufgeputscht, voller Adrenalin, wild und wütend und duldete keinen Widerspruch. »Na schön, okay, dann streiten wir es aus. Reden wir mal darüber, wessen Idee es überhaupt war, in diesen beschissenen Siskiyou Forest zu gehen. Denn das bringt uns jetzt bestimmt enorm weiter, was?« Ein Auto kam ihnen entgegen und schoß mit leisem Zischen vorbei. Hinter ihnen glühten zweifellos die Telefone, und wie sie glühten. »Aber wo fahren wir hin? Weißt du überhaupt, wo du bist?«
    Er sah ihre Schulter, die sich wütend vorschob, als sie im Handschuhfach wühlte. Es dauerte eine Weile, dann knallte sie eine Straßenkarte nach hinten. »Krieg du das raus. Du bist hier der Spinner. Hinter dir sind sie her.«
    In diesem Moment hob Sierra den Kopf aus der Höhle seines linken Arms. Dort hatte sie ihr Gesicht vergraben, seit er in den Wagen gehechtet war und ihr die Arme entgegengestreckt hatte, und bei jeder Welle und Senke der Straße spürte er ihren warmen Atem auf der Haut, den sanft schwankenden Orbit ihres Körpers, wenn die Zentrifugalkräfte sie ihm zu entreißen drohten. Jetzt fuhr

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