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Ein Freund der Erde

Ein Freund der Erde

Titel: Ein Freund der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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spritzte und Robin Goldmans Chevy Nova zum Kunstwerk wurde. Sehr erfreulich – sie hatte Angst verspürt, keine Frage, Angst und Verunsicherung, während ihr die Spießer ins eine Ohr und die Bullen und dieser Jugendanwalt ins andere flüsterten –, und mochte Tierwater im vergangenen Monat auch die Hölle durchlebt haben, er konnte nur ahnen, wie es für sie gewesen sein mußte. Andrea jedoch war wunderbar. Andrea hatte sie an sich gedrückt, sich mit ihr hingesetzt und geredet, sie teilten sich ein altes Sandwich und eine Dose mit lauwarmer Limonade, und Tierwater war bei ihnen gewesen, die Arme um beide geschlungen und so gerührt, daß er kaum sprechen konnte.
    »Ich weiß ja, daß wir das nie wiedergutmachen können, Liebes«, sagte Andrea, »und es war mein Fehler, absolut mein Fehler, das mußt du wissen. Dein Vater wollte dich nicht mitnehmen damals – er hatte recht, und ich hätte auf ihn hören sollen, denn du weißt doch, daß wir nie etwas getan hätten, um dich bewußt in Gefahr zu bringen oder auch nur dem geringsten Risiko... aber das wäre mir im Traum nicht ... das sind Dreckskerle, mit denen wir’s hier zu tun haben, echte Schweine, die werden alles unternehmen, um uns kleinzukriegen. Aber du wirst dadurch stärker werden, glaub mir.«
    (Das war eine fragwürdige Feststellung, die die Zukunft völlig außer acht ließ, die Verstecke, den Untergrund, die falschen Namen, die Paranoia und den ewigen Wechsel von einer Schule zur anderen – aber meine Tochter war erst dreizehn und so glücklich, daß wir sie gerettet und dem eisernen Griff dieser Wohltäter entrissen hatten, daß sie nichts in Frage stellte. Wie zieht man eine junge Radikale heran? Ich könnte das Handbuch dazu schreiben.)
    Sierra senkte den Kopf, das halbverzehrte Sandwich in der Hand, und ihre Augen waren die einer Wölfin, dunkler als der Himmel und bereits wild um sich blickend. »Ich weiß«, flüsterte sie.
    Einstweilen aber lag Tierwater im Gras, der feierliche Moment war vorüber. Frau und Tochter bewarfen den Wagen mit Schlamm, sie kicherten und kreischten dabei, gingen spielerisch mit triefenden Händen aufeinander los, die nackten Füße schwarz und glänzend. Er legte sich zurück und musterte die Wolken, schnupperte den Regen, und es überraschte ihn nicht im geringsten, daß er an Jane denken mußte, denn sie hatte er nicht retten können, ihr hatte er nicht geholfen, sie hatte er für immer entgleiten lassen.
    Wie willst du deine Pfannkuchen? – hatte sie ihn gefragt am Morgen des Tages, an dem sie starb, und er konnte ihre Stimme noch wie eine halbvergessene Melodie hören, die ihm durch den Kopf ging –, ganz schwarz oder mittelschwarz? Er sah sie in einem Schleier aus Qualm – Qualm, der um sie wogte und in dünnen weißen Kringeln zu den Wipfeln aufstieg. Sie trug Shorts, Wanderstiefel und ein New-York-Rangers-Sweatshirt – sie kam aus dem Norden des Staates, aus Watertown, und Eishockey war ihre Leidenschaft. Er selbst haßte Eishockey – ein Haufen ordinärer Muskelprotze, die einander brutal gegen die Bretterwände schleuderten und dabei schweinische Sachen auf Quebec-Französisch grunzten, daß es dem Eis den Atem verschlug –, aber er liebte sie. So war es nun einmal, auch wenn er es selbst kaum wußte und nie laut aussprach, außer in Augenblicken erotischer Verwirrtheit. Von solchen abstrakten Dingen redeten sie nicht, sie sprachen über das Baby, seinen Job, ihren Job, sie sprachen über Murmeltiere und Grizzlybären und darüber, was sie frühstücken wollten.
    Ihre Beine waren dreckig – geschunden, verschorft, zerstochen –, und ihre Hände hätten ebenfalls sauberer sein können. Und geschmeidiger. Ein Fleck unter dem linken Auge schimmerte wie eine Narbe. Angeklatschtes Haar. Kleider, die nach Rauch und Essen und ihrem eigenen satten Moschusduft rochen. All das war in Ordnung, denn sie zelteten in der Wildnis, im Glacier Park, Sondergenehmigung, und man konnte sich waschen, soviel man wollte, doch Dreck war unter diesen Umständen unvermeidlich.
    Er wollte seine Frühstückspfannkuchen mittelschwarz verbrannt, und er teilte ihr das aus der Tiefe seines Schlafsacks mit, in dem er noch auf der Neoprenmatte im Zelt lag, das aussah wie ein großer, frisch aus dem Waldboden geschossener Fliegenpilz. Draußen regnete es, ein feines Nieseln, das die Stämme dunkel und die Nadeln silbern färbte. Am Abend davor hatten sie, in der schwarzbrütenden laut hallenden Stille um halb zwölf Uhr nachts, das

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