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Ein Freund der Erde

Ein Freund der Erde

Titel: Ein Freund der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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darüber nachzudenken. Es ist eine darwinistische Welt – töten oder getötet werden, fressen oder gefressen werden –, und ich habe kein Problem damit, daß bestimmte hochentwickelte Affen sich hie und da ein Stück verbranntes Fleisch zwischen die Zähne stecken (wenn wir nur nicht so viele wären, aber das ist eine andere Geschichte). Außerdem war ich nie Teil der Umweltbewegung, bis Andrea mich geschnappt hat, und bis dahin hatte ich neununddreißig Jahre als Fleischfresser hinter mir. An der Spitze der Nahrungskette, allerdings.
    Meine Tochter sah diese Dinge etwas anders.
    Es fing an, als sie elf war. Sie kehrte von einem Ausflug nach New York mit Janes Schwester Phyll zurück, worunter ich mir so etwas wie einen Besuch der Radio City Music Hall oder des Naturhistorischen Museums vorgestellt hatte, und verkündete mir, Fleischessen sei Mord. Sie waren nicht im Säugetiersaal gewesen. Nein, Phyll hatte sie zum Earth Day auf den Washington Square mitgenommen, wo sie bekehrt worden war – von einem Asketen mit Dreadlocks und einer Diavorführung, bei der man sah, wie rehäugige Robbenbabys mit dem Hammer erschlagen und frisch geköpften Hühnern auf dem Fließband mechanisch die Eingeweide herausgerissen wurden. Ich hatte einen katastrophalen Tag im Büro gehabt, mein Hauptmieter – eine landesweite Drogeriemarktkette, praktisch der Anker des ganzen Einkaufszentrums – drohte damit, in die neue Shopping-Galerie umzuziehen, und ich schlürfte gerade einen Scotch, um meine Nerven zu anästhesieren, während ich zwei fetttriefende Porterhouse-Steaks fürs Abendessen auftaute. Sierra stand in der Küche, eins zweiundfünfzig groß und vierzig Komma null Kilo, und hielt mir Vorträge über das Böse am Fleisch, während die Kartoffeln brav in der Folie buken, die grünen Bohnen aus der Tiefkühlpackung im Topf schmorten und Blut aus den Steaks in das Schneidbrett sickerte. »Ekelhaft ist das, Dad – wirklich. Sieh dir doch das Fleisch mal an, lauter Schleim und Blut. Eine unschuldige Kuh mußte sterben, nur damit wir fressen können wie die Schweine, ist dir das klar?«
    Ich war nicht humorlos – nicht gänzlich jedenfalls. Aber ich hatte einen harten Tag hinter mir, war alleinerziehender Vater und als Koch nur von sehr begrenztem Können. Fleisch hatten wir eben da, deshalb würden wir heute auch Fleisch essen. »Und was war letzte Woche?« fragte ich. »Was ist mit den Chicken McNuggets, die ich dir jeden Samstag zum Mittagessen hole? Und was ist mit dem Essen in der Schule?«
    Die Küche, in der wir standen, stammte aus den fünfziger Jahren, entworfen und eingerichtet von meinem Vater, nachdem er die ersten fünfundsiebzig Häuser der Siedlung fertiggestellt hatte. Alles lief prächtig für ihn, und er scheute keine Ausgaben für sein neues Heim, plazierte es auf zwölftausend Quadratmeter am Ende der Straße, mit einem großen, leicht abfallenden Rasen davor und einem gedeckten Pool dahinter, dann pufferte er das Grundstück mit rund vierzig Hektar Sumpf und Dornengestrüpp und nachgewachsenem Wald ab – Heimat für Rotwild und Opossums, Kröten, Frösche, Schwarznattern und den Amateurbiologen und künftigen Waldläufer, der sein Sohn war. Die Küche mit ihrem Einbauherd und dem Elektrokochfeld, den Resopalarbeitsplatten und Schränken aus knorrigem Kiefernholz, die meine Mutter unbedingt weiß lackiert haben wollte, war auch früher schon Schauplatz diverser Essensrebellionen gewesen (Makkaroni und Käse waren mir besonders verhaßt, und Wachsbohnen – die konnte ich nicht einmal kauen, geschweige denn verdauen), aber das war beispiellos. Hier ging es nicht um eine Geschmacksfrage – es war eine philosophische Herausforderung und traf ins Herz der Ernährungsweise, mit der ich groß geworden war.
    Sierras Blick blieb fest. Sie trug Shorts, Basketballschuhe und ein zu großes T-Shirt, das ihr wohl Phyll gekauft hatte ( Lämmer auf die Schlachtbank? fragte der Schriftzug über der verlorenen Fratze eines Schafs). »Ich geh nie wieder zu McDonald’s«, sagte sie. »Und das Mittagessen in der Schule esse ich auch nicht mehr.«
    Ich nippte an meinem Drink, der Scotch wirbelte in mir auf wie Rauch in einem fahlen Himmel. »Was soll ich dir denn statt dessen geben – ein Sandwich mit Salat? Senfgemüse? Selleriestangen? Bambussprossen? Du magst Gemüse ja nicht mal! Wie kannst du Vegetarierin sein, wenn du nicht auf Gemüse stehst?«
    Darauf hatte sie nichts zu sagen.
    »Wie ist es mit Süßigkeiten?

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