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Ein Freund der Erde

Ein Freund der Erde

Titel: Ein Freund der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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weiteren Gang, magentarote Läufer, versenkte Punktstrahler und wahrscheinlich die letzte Mahagonitäfelung, die auf der Erde eingebaut wurde. Bei dem Durcheinander am Vortag hatten wir die Warzenschweine und Pekaris in die Bowlingbahn getrieben, die hier irgendwo in der Nähe sein muß, denke ich, und obwohl ich von den Löwen nichts höre, kann ich sie riechen. Bestimmt schlafen sie gerade – selbst in der Natur, das heißt: als es noch eine Natur gab, schlafen erwachsene Löwen gut zwanzig Stunden am Tag. Ich kann sie mir vorstellen, wie sie zwischen den Fetzen und Bruchstücken der zerlegten Möbel herumliegen wie Leichname, und nur das sanfte Heben und Senken ihrer Bäuche verrät sie. (Es ist ein verrücktes Bild, ich weiß, die ganze Sache hier ist verrückt, aber willkommen zum Leben im 21. Jahrhundert. Und wieso soll gerade ich mich beklagen – ich lebe ja noch, oder? Wenn man das so nennen möchte.)
    Macs Schultern pumpen, der Schlapphut reitet obenauf. Wir nehmen einen Korridor nach rechts, biegen links in einen anderen und stoßen dann durch die Schwingtür der unteren Küche. Mac tastet nach dem Lichtschalter und erweckt schlagartig eine Welt aus blinkenden Küchengeräten zum Leben: Töpfe, Siebe, Schneebesen und Reibeisen, die über Edelstahlarbeitsplatten von der Decke hängen, ein riesiger Geschirrspüler im Großküchenformat, die polierten Türen eines begehbaren Gefrierschranks. »Jetzt paß mal auf«, sagt Mac mit von der Gaze gedämpfter Stimme, dann zieht er die rechte Tür auf. Sofort werden wir von einer herauswallenden Wolke aus tiefgekühlter Luft eingehüllt. Ein weiterer Lichtschalter erhellt das Innere der Kammer, und wir sehen die an Haken aufgereiht hängenden Kadaver, die ihre frostigen Schatten werfen.
    »Als Gastgeber – und zwar als der Gastgeber der schärfsten, abgefahrensten und durchgeknalltesten Partys – muß man eben einfach Fleisch dahaben, verstehst du?« erklärt Mac. »Na, und die armen Viecher waren ja auch schon tot und geschlachtet. Es ist doch so: wenn man einen Weinkeller hat, wieso dann nicht auch einen Fleischkeller? Es ist sozusagen eine Investition. Ich hab hier das letzte argentinische Rindfleisch, ist dir das klar? Büffelzunge, Elch, Hammel, pikant gewürzte Salsiccia aus Palermo – ich weiß nicht, was noch alles. Und Fisch. Zwei ausgewachsene weiße Thunfische, vielleicht die letzten auf der Welt, und kannst du dir vorstellen, was die Japaner dafür zahlen würden? Nur für ein Stückchen so lang wie dein kleiner Finger?« Eine Geste mit der Hand. »Liegen irgendwo dadrin. Jedenfalls waren sie kürzlich noch da.« Sein Atem dampft als seltsamer Lichtdunst durch die Maske, überall sind Schatten, nackte Tiere auf nackten Haken, Fleisch volles Rohr. »Einiges von dem Zeug ist zwanzig Jahre alt.«
    Wir haben uns beide in den Kühlraum gezwängt. Dicht neben mir hängt irgendwas, hartgefroren wie Granit, ein hufloses Bein baumelt schlaff herunter. »Also du meinst, wir könnten vielleicht was von den älteren Sachen verfüttern, an den Fuchs, die Hyäne, die Löwen – nur in einer Notlage natürlich? Du hättest nichts dagegen?
    Mac antwortet mit eloquentem Achselzucken. Seine Sonnenbrille überzieht sich mit Rauhreif. Ich spüre, wie das Eis um die weißen Härchen in meinen Altmännernasenlöchern kristallisiert. »Es geht darum, die Tiere zu retten«, sagt er. »Das weißt du doch, Ty.«

Sierra Nevada, August 1989
    Tierwater saß auf dem vorderen Rand eines Gartensessels, einen Skizzenblock auf dem Schoß, einen großen Wodka Tonic in Griffweite, und sah zu, wie seine Frau und seine Tochter die Würfel klappern ließen und kleine silberne Männchen auf einem Monopolybrett verschoben. Es waren etwas über zwanzig Grad, der Himmel von einem klaren allwissenden Blau, die Espen reglos, die Kiefern, Rauchzypressen und Redwoods überragten einander schweigend bis zum fernen Horizont. Andrea entspannte sich im Lotossitz auf den verwitterten Bohlen der Veranda, ihre Brüste schwangen frei hinter dem dünnen Baumwollstoff ihres T-Shirts, den eigenen Drink hielt sie zwischen den Oberschenkeln fest. Etwas unter ihr, auf den Stufen, die auf den beigefarbenen, nadelübersäten Waldboden führten, kniete Sierra barfuß in einem breiten Balken Sonnenlicht und erwog die Errichtung eines Hotels auf einem ihrer günstig gelegenen Grundstücke. Nichts war zu hören bis auf das wiederholte Tocken eines Spechtes in der Tiefe des Waldes und, von etwas näher, die schrille

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