Ein Freund der Erde
die Augen aufschlägt, träumende Augen, diese Augen, die mich hinab in ihre unentrinnbaren Arme ziehen. »Gut geschlafen?« flüstert sie.
Perspektiven versuche ich soweit wie möglich zu vermeiden. Perspektiven tun weh. Lebe in der Gegenwart, das sag ich immer, einen Schritt nach dem anderen, und vergiß die Nostalgie, vergiß die Geschichte, vergiß die vage Kette von Verlust, Zermürbung und Frustration, die dich letzte Nacht ins Bett und heute früh wieder hinausgetrieben hat. Das fällt allerdings schwer, wenn man Andrea Knowles Cotton Tierwater neben sich sitzen hat, die einem die Grapefruit auslöffelt, weil man selbst vor lauter Rückenschmerzen kaum die Arme heben kann, und April Wind, die Krötenanbeterin, einen über den Tisch hinweg anglotzt. Und dann Mac. Ich kenne ihn seit zehn Jahren, seit meinem allerletzten Mal im Gefängnis, aber jetzt kommt er auf Rollschuhen zur Tür reingedüst und trägt eine Gazemaske, die mir einen Mordsschrecken einjagt. »Morgen, Morgen, Morgen!« trällert er und dreht sich im Kreis, als wäre er auf der Bühne, beschattet von seinen Bodyguards mit breitem Schädel und dem schläfrigen Blick. Der nächste Schock: die beiden tragen ebenfalls Masken.
Ich schlucke. Blinzle. Fische meine Brille aus der Brusttasche. »Okay«, sage ich schließlich, »hör mal, Mac – was soll die Maske? Erzähl mir bloß nicht, daß die Mucosa wieder umgeht, denn davon will ich nichts wissen, nicht bei diesem Wetter und mit den Tieren und dem ganzen Zeug, nein, kommt nicht in Frage.«
Andrea ist bereits aufgestanden, und scheiß auf die Grapefruit, scheiß auf den Exmann, jetzt existiert niemand auf der Welt außer Mac. »Aber das stimmt doch mit der Mucosa, oder? April und ich haben versucht, es Ty beizubringen, aber er wollte nicht hören. Los, sag du’s ihm, Mac...«
Aber wir wollen einen Augenblick zurücktreten, um die sich hier entfaltende Szene so recht zu würdigen. Da ist Mac, der ich weiß nicht wie viele Millionen schwer ist, Mitte Fünfzig und schlank bis zur Magerkeit, seine X-Beine stecken in einer schwarzen Jeans, dazu eine Art Tambourmajor-Jackett mit goldenen Paspeln über einem schwarzen T-Shirt von seiner Barbecue-You! -Tour, das seinen ausgemergelten Oberkörper eng umspannt, das Gesicht verdeckt von Schlapphut, Sonnenbrille und der Maske; und da ist Andrea, die überhaupt nichts hat, eine heiße alte Wachtel in einem Hippie-Blumenkleid, das bis zu den Stiefeln an ihr herunterhängt und dafür das runzlige Dekolleté entblößt. Sie reißt die goldenen Äuglein weit auf und packt Mac mit ungeheucheltem Ernst an den Armen, während seine Leibwächter unruhig mit den klobigen Füßen scharren. Und wo sind wir? Wir befinden uns in einem der drei Speisezimmer der Villa, konkret im Motown Room, hoch oben über dem Nordflügel, und durch das schlagfest verstärkte Panoramafenster blicken wir auf das tosende Chaos in den Niederungen ringsherum. Es regnet weiter. Und der Wind wird immer noch stärker.
»Ich habe Masken für uns alle hier«, piepst Mac, entwindet sich Andreas Griff und fuchtelt mit einem Packen davon in der Luft herum, »es gibt also keinen Grund zur Aufregung. Nur eine Vorsichtsmaßnahme, sonst nichts. Ihr seid alle meine Gäste, solange das da draußen so weitergeht, und habt keine Angst, Mac kümmert sich um euch. Wir haben genügend zu essen, und Al hat den Generator gleich angeworfen, als vorgestern der Strom ausfiel.«
Ich bin auf den Beinen, voller Wut, aber ich weiß nicht, warum. »Was spielen wir denn hier, Maskierte Herzen oder was? Das letztemal haben wir auch alle Masken getragen und uns strikt abgeschottet, weißt du noch, Mac? Hat aber Lori nicht viel geholfen, stimmt’s?«
»Ach, damals. Da haben wir die Sache zu Anfang nicht ernst genommen. Wir haben rumgemacht. Die Dienstmädchen nachmittags nach Hause gehen lassen. Und die Partys, erinnerst du dich nicht mehr an die Partys, Ty? Aber diesmal bin ich im selben Moment aus Carolina weg, als ich davon erfahren hab. Belagerungszustand, Leute. Und wirklich, ich muß darauf bestehen, daß wir alle diese Atemmasken tragen, bis wir was Neues wissen – wenn ihr hierbleiben wollt, geht’s nach meinen Regeln. Und Dr. Deepit sagt, man soll im Haus bleiben wegen dieser Moskitos, die das – wie heißt es noch schnell, Ty?«
»Dengue-Fieber. Es heißt Dengue-Fieber, und die Mücke, die es überträgt, ist die Aedes aegypti , kam früher nur in den Tropen vor. Man nennt es auch das
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