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Ein Freund der Erde

Ein Freund der Erde

Titel: Ein Freund der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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sich in die Spurrillen fraßen, dann sank das funkelnde, kastenartige Gefährt über dem leeren Fleck in seine Stoßdämpfer, und ein feiner brauner Staub, der Staub von längst abgetragenen Bergen, hing in der Luft wie ein zitternder Heiligenschein. »Hollaho!« sagte Ratchiss und tippte beim Aussteigen kurz mit einem Finger an die Krempe seines Safarihuts. Er war Amerikaner, geboren und aufgewachsen in Massapequa auf Long Island, aber er hatte zwanzig Jahre lang in Ostafrika gelebt und besaß einen eigenartigen Akzent, der irgendwo im Niemandsland zwischen New Yorker Klempner und Mitglied des britischen Oberhauses lag – und er zitierte mit Vorliebe Shakespeare, wenn auch nie auf treffende oder sinnstiftende Weise, sondern nur in kleinen Floskeln wie »Hollaho!« oder »Meiner Treu« und »Bohrt Ihr uns einen Esel, mein Herr?«. Wie alt war er? Tierwater wußte es nicht sicher, aber er wirkte wie Mitte Fünfzig, ein Mann von seltsamem Körperbau – die Muskeln saßen bei ihm alle an den falschen Stellen, an den Fuß- und Handgelenken und im Nacken – und mit einem buschgegerbten Gesicht, in dessen Mitte das kümmerliche Häkchen einer roten, sich schälenden Nase steckte, als wären Nasen eher eine Art Zufall. Er hatte ganze Herden von Tieren getötet. Er soff zuviel (Gin und Magenbitter), und in seinem Blut kreisten die Plasmodiumparasiten, die Malaria verursachten. Er war laut, großspurig, eitel, herrschsüchtig. Und er war ihr Gastgeber. Die Hütte gehörte ihm.
    Tierwater wußte nie so recht, was er auf das »Hollaho!« antworten sollte, also hob er träge die offene Hand zum Gruß, während Ratchiss die drei Stufen zur Veranda mit einem Satz nahm, beide Arme mit Einkaufstüten schwer beladen, den Hut in den Nacken geschoben, was seinen zurückweichenden Haaransatz und die leichenbleiche Kopfhaut freilegte. »Heiß wie n Hurenarsch da unten«, sagte Ratchiss und öffnete die Tür ins Haus mit einem tastenden Zeigefinger, dabei verlagerten sich die Papiertüten in seinem Arm, und es klirrte Glas gegen Glas. »Im Auto ist noch mehr«, knurrte er, dann klappte die Fliegentür hinter ihm zu.
    Andrea warf ihm einen Blick zu, worauf Tierwater sein Glas leerte und die Stufen zu dem Geländewagen hinunterschlenderte. Er zog drei weitere Tüten vom Rücksitz – Gewürzgurken, Relish, weiche Brötchen, Gewürze, alles Zutaten zu dem Fleisch, das sich Ratchiss ununterbrochen an einem Spieß hinter dem Haus grillte. Das war in Ordnung so. Es gab auch frisches Gemüse, und Sierra hatte so viele Sojaburger im Gefrierschrank, daß sie es bis Weihnachten aushalten konnten. Er wuchtete die Einkäufe hoch, klemmte sich die Tüten gegen die Brust und trug sie die Stufen hinauf ins Haus.
    Drinnen war es dunkel und kühl, ein schwacher Geruch nach Brennholzrauch, versengtem Toast und Mäusepisse gesellte sich zu dem süßlich-chemischen Duft der Petroleumlampen, die auf dem Sims über dem rußgeschwärzten Steinkamin aufgereiht standen. Die Hütte hatte als einfache Dreieckskonstruktion begonnen, mit einem hohen Wohnraum hinter der Verandaplattform und einem Obergeschoß mit zwei Schlafzimmern und einer Küche darunter; aber Ratchiss hatte auf der Rückseite noch einen Anbau dazugeschustert, so daß es jetzt zwei weitere Zimmer und ein zweites Bad gab, mit einer direkt in die Redwooddielen einer zweiten Plattform eingelassenen Freiluftbadewanne, von wo man die Sonne und die Sterne sah. Tierwater hätte es nicht gerade eine herkömmliche Berghütte genannt, weil er bis dahin herzlich wenig Erfahrungen mit Hütten hatte, ob in den Bergen oder sonstwo, aber es war nichts weiter Besonderes. Bis auf die Aussicht natürlich – und auf Ratchiss’ Begriff von Innendekoration. Hier hingen keine Hirschköpfe über dem Kamin, waren keine lackierten Forellen auf Holzbrettern an die Wand genagelt, gab es keine sentimentalen Acrylgemälde von alpiner Erhabenheit oder atemberaubende Schwarzweißfotos von El Capitán oder dem Half Dome – nein, im Innern von Ratchiss’ Hütte war Afrika.
    Das Mobiliar – große Couch, kleines Sofa, zwei dazu passende Sessel – war aus steinhartem Mopaneholz gezimmert und mit Zebrafellen bezogen. Auf dem Boden lag ein Löwenfell statt des üblichen Bären, und die Wände strotzten von Speeren, Schilden, Stammesmasken und den präparierten Köpfen von Kongoni-Hartebeest, Rappenantilope, Spießbock, Leopard und Flußschwein – dazu ein monumentales Rhinozeros, das den Eindruck erweckte, als bräche es

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