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Ein Freund der Erde

Ein Freund der Erde

Titel: Ein Freund der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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ihr alle, ihr Narren, ihr tierlieben Spinner und androgynen Rockstars , sie sagt: Ich bin zehnmal mehr wert als ihr, weil ich immer noch ein Mensch bin, und ihr seid bloß Tiere im Käfig . Chuy sieht mich an. Die beiden Als wappnen sich. Und genau in diesem Moment taucht Lily auf.
    Das Geräusch, das sie von sich gibt – ein leises Schnauben der Warnung oder Überraschung –, ist so leise, daß es bei dem prasselnden Regen kaum hörbar ist, und wer ihr nicht zehn Jahre lang beim Fressen, Schlafen und Rumoren im Gehege zugesehen hat, würde es vermutlich gar nicht als tierischen Laut erkennen. Ich wende den Kopf. Das ist alles – ich drehe mich nur kurz um, eine einfache Anspannung und Lösung der entsprechenden Muskelgruppen –, und schon ist Lily vorbei, ein bräunlicher Schatten mit schwarzen Streifen und grauem Kopf, saust vorbei an Delbert Sakapathian und dem Hutzelmännchen, um im Unwetter zu verschwinden.
    Einen Augenblick lang rührt sich keiner. Dann kommt Wind auf, wieder dieser Geruch darin, und einer der Engel aus Silberfolie schabt mit den Flügeln an der Decke. Da trete ich vor, ohne ein Wort zu Mac oder Chuy oder die beiden Männer auf der Schwelle. Ich halte den Türknauf in der Hand, der Regen rauscht wie ein Testbild, dazu dieser Geruch, und dann schwingt die Tür irgendwie zu, bis sie mit einem wuchtigen Knall ins Schloß fällt.
    Und dann? Dann schließe ich ab.
    Eine Woche später sitze ich vor einem künstlichen Kaminfeuer, der Regen spuckt gegen die Fenster, und April Wind kauert zu meinen Füßen, mit einem Recorder von der Größe einer Zündholzschachtel. Sie trägt ein Jeanskleid, an das dünne, fingerlange Stoffstreifen aufgenäht sind, dazu Fransenstiefel aus Wildleder und einen Gürtel, der aussieht, als hätte jemand dafür mindestens zwei Schachteln Kleenextücher aneinandergeknotet. Insgesamt wirkt sie wie ein riesiger flaumiger Vogel mit Pferdezähnen und einem Kopf, der zu klein ist für den Körper. Habe ich bereits erwähnt, daß mir diese schmächtige Bohnenstange von Weib unsäglich auf die Nerven geht? Daß ich die Vergangenheit hasse, die Gegenwart nur begrenzt ertragen kann und diese ebenso wie jede andere Form der Befragung verpöne? Daß ich nur aus einem einzigen Grund still sitzen bleibe, und daß dieser Grund sich A-n-d-r-e-a buchstabiert?
    »Also«, haucht April Wind und setzt das Aufnahmegerät mit geübtem Schnippen des Zeigefingers in Gang, »erzähl doch mal von dieser Baumbesetzersache, von Anfang an bitte, weil ich doch erst zu E.F.! gestoßen bin, nachdem Sierra – na ja, nachdem sie schon in die Arme der Artemis aufgestiegen war. Was ich gern wüßte: wessen Idee war das eigentlich – hat Teo sie dazu überredet? Oder Rolfe? Oder dieser, wie hieß er noch, Ratchiss?«
    Wir sind im James Brown Room, umgeben von Bildern des Großpaten des Soul, überall wiederholen sich seine tiefliegenden Äuglein, die glänzende Schmachtlocke und das vorgereckte Kinn, bis die Wände zu schwanken scheinen wie in einem Planetarium und seine multiplizierten Augen zu Sternen am Himmel werden. Das ist ein ziemlich schiefes Bild, ich weiß, aber ich leide an Verdauungsstörungen, die Atemmaske schließt sich um meinen Mund wie die Hand eines Würgers, und mein Verstand spielt mir etliche Streiche. Poppa’s got a brand-new bag , o ja, allerdings.
    »Oder war das ihr eigenes Ding, etwas rein Spontanes, das sie eben einfach tun mußte? Aus Liebe zur Erde, meine ich?«
    Ich stöbere nach einer Antwort und werde plötzlich von einem Bild meiner Tochter überrumpelt, das so greifbar ist wie das Porträt von James Browns Fabulous Flames, die mich vom Ehrenplatz über dem Kamin angrinsen. Sierra ist einundzwanzig, lange Arme, lange Beine, schlank, mit der Furche im Kinn, die sie ebenso wie die glühenden Augen von ihrer Mutter geerbt hat; sie trägt Turnschuhe, abgeschnittene Jeans und ein Thermo-T-Shirt. Das Haar hat sie zu einem Zopf geflochten, so dick wie ein Tau, und es ist nichts mehr zu sehen von dem Make-up, mit dem sie sich zukleisterte, als sie vierzehn und unheilbar zornig war. Eine ganze Horde von Baumumarmern, Veganern und Post-hip-Hippies hat sich um sie geschart und trommelt auf Bongos und Congas ein, irgendwer spielt eine Nasenflöte, in der Luft liegt das Aroma von Marihuana, und die gewaltigen, uralten Bäume erheben sich aus dem Waldboden wie die Säulen, die den Himmel am Herabstürzen hindern. Es ist der erste Tag, der Tag des Aufstiegs, aber ihre Füße berühren

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