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Ein Freund der Erde

Ein Freund der Erde

Titel: Ein Freund der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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sagt Mac, »es war ja bloß eine Minute. Vielleicht hat sie geschlafen oder so.«
    Ich bin erschüttert. Und wütend. Und obwohl er mein Arbeitgeber ist, mein Rettungsanker in den dunkel wogenden sozialversicherungslosen Gewässern des gefahrvollen Lebens als Jungalter, lasse ich ihn das auch wissen. »Was denkst du dir eigentlich? Daß du die Tür sperrangelweit offenlassen kannst und sie sich einfach zusammenrollt wie ein fetter Schoßhund?«
    Mac möchte dagegenhalten – ich kann sehen, wie sich die Antwort in seinen nackten, leicht gelblichen Augen formt –, doch die Gelegenheit zerrinnt im plötzlichen Läuten der Türklingel. Im Grunde läutet sie nicht wirklich: sie läßt die ersten Takte von Macs größtem Hit ertönen: Chariots of Love , aus dem Album »Chariots of Love«. Das ist seltsam, dieses Läuten – denn es klingelt nie jemand, niemals. Selbst zu normalen (oder weniger ab normalen) Zeiten kommt kein Mensch durch das schwere Einfahrtstor und an den Überwachungskameras vorbei – sowie an Al & Al und auch an mir und Chuy und den Tagelöhnern und Gärtnern und all den anderen – bis zur Haustür, um auf den Knopf zu drücken. Und als wenn das unter gewöhnlichen Umständen nicht Glanznummer genug wäre, sind wir jetzt durch die Überschwemmung noch weiter isoliert. Also wer klingelt da? Lily? Gott? Der Geist der vergangenen Weihnacht?
    Wir gehen die Treppe hinunter, wachsam natürlich, die Nitro Express und ich schirmen Mac von vorne ab, Chuy mit seiner vom Dursban gesottenen Haut bildet die Rückhut, dann arbeiten wir uns vorsichtig im Erdgeschoß durch den Flur und ins Vestibül, als die Klingel nochmals trällert und aus dem Überwachungsraum links neben dem Haupteingang mit grimmiger Miene die zwei Als auftauchen. Der größere Al wirft seinem Chef einen warnenden Blick zu und öffnet dann die Tür.
    Dort, in dem eigentümlichen Unterwasserlicht des Unwetters, steht Delbert Sakapathian, der Katzenfreund mit dem Billardkugelkopf und der Ballonwampe. Regenmantel und Südwester hat er verloren, die nassen Kleider kleben ihm am Leib, sein spärliches Haar wirkt wie auf den Schädel gemalt. Aber das ist nicht alles: neben ihm ist noch jemand, so fest in einen schwarzen Regenmantel gewickelt, daß er aussieht wie durch ein Rohr gepreßt – ein alter Mann, vielleicht auch eine alte Frau. Es ist schwer zu sagen, weil er oder sie zu den Altalten gehört, den uralten Alten, den Vorsintflutlichen, Archäologiefunden, Grauer-als-die-Vorzeit-Alten, so alt, daß er/sie vollkommen geschlechtslos geworden ist. Wir sehen die Röhre des Mantels, die Affenhände, das Gesicht wie eine geschälte Weintraube: zahnlos, ohne Kinn und Wangen, ein geschundenes, verdorrtes schwarzes Loch der Menschheit. Keiner von beiden trägt eine Atemmaske.
    »Mr. Pulchris«, sagt Delbert Sakapathian und spricht Mac mit der ganzen Ehrfurcht und Demut eines Abendmahlgasts in der Kirche zur Heiligen Prominenz an, »wir brauchen Hilfe. Ich... das hier ist der alte Foley aus dem Seniorenheim von Lupine Hill – da drüben ist alles nur noch Schrott, und er braucht einen Unterschlupf, ich meine, falls Sie etwas für ihn hätten, nur bis es die Hilfsmannschaften bis hierher schaffen, um wieder was aufzubauen oder die Leute in irgendeine Turnhalle zu bringen oder so was. Er ist jetzt seit Tagen bis auf die Haut durchnäßt.«
    Der Regen behält das stete Prasseln bei. Und auch der Geruch ist da, so scharf, daß ich mich innerlich winde – der Geruch der Unterseite aller Dinge, der Geruch nach Tod und Verfall.
    »Hören Sie, ich bitte Sie nicht meinetwegen – Lurleen und ich schaffen das schon, ich hab mein Kanu draußen am Treppengeländer angeleint, und die können ruhig die Apartments für baufällig erklären, aber mich müssen sie erst abknallen, bevor sie mich da rauskriegen, zumindest, bis der Regen aufhört...« Jetzt blickt er mich an, dann die beiden Als und Chuy, ein stummer Appell.
    Schließlich sagt Mac, mit der süßesten Stimme, einfach nein. Schüttelt weltmüde den Kopf, die Aalpeitschen seines Haars schlackern über die glatten Flächen der wieder aufgesetzten Spiegelbrille. »Ich würde ja gern helfen«, sagt er, »wirklich, aber das geht nicht – ich, wir können es nicht riskieren. Wegen der Mucosa. Sie verstehen das sicher. Aber ich möchte gern helfen. Ehrlich. Geld ist kein Problem. Wollen Sie vielleicht Geld?«
    Ich beobachte Delbert Sakapathians Gesicht. Seine Miene besagt: Ihr Scheißer könnt ruhig krepieren,

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