Ein froehliches Begraebnis
mit der einen schlampig rasierten Wange – er trug entgegen der Tradition nur einen schmalen kurzen Bart – und mit den braungrün gesprenkelten Augen prägte sich ihm deutlich ein, mit fotografischer Exaktheit.
»Nina wollte unbedingt, daß ich mit Ihnen spreche«, setzte der Priester fort. »Sie denkt, ich kann Sie taufen, das heißt Sie überreden, sich taufen zu lassen. Und ich konnte ihr die Bitte, Sie zu besuchen, nicht abschlagen.«
Die Musik unter dem Fenster jaulte, prasselte, verröchelte und lebte erneut auf. Alik verzog das Gesicht.
»Ich bin doch ungläubig, Vater Viktor«, sagte Alik traurig.
»Nicht doch! Nicht doch!« Vater Viktor winkte ab. »Wirklich Ungläubige gibt es kaum. Das ist ein psychologisches Klischee, das Sie wohl aus Rußland mitgebracht haben. Ich versichere Ihnen, Ungläubige gibt es nicht. Besonders unter kreativen Menschen. Der Inhalt des Glaubens ist verschieden, und je höher der Intellekt, desto komplizierter die Form des Glaubens. Zudem gibt es eine Art intellektueller Keuschheit, die direkte Erörterungen und undifferenzierte Urteile scheut. Man hat immer die vulgären Beispiele religiöser Primitivität vor Augen. Und das ist schwer zu ertragen.«
»Das verstehe ich sehr gut, ich habe meine Frau im Haus«, reagierte Alik.
Der Priester mit seiner ehrlichen Ernsthaftigkeit gefiel ihm. Und er ist absolut nicht dumm, dachte Alik verwundert. Ninas entzückte Ausrufe über den weisen, heiligen Priester hatten ihn seit langem geärgert, und dieser Ärger war nun verflogen.
»Bei Nina«, Vater Viktor deutete zur Tür, »und überhaupt bei den meisten Frauen, geht alles nicht durch den Kopf, sondern durch das Herz. Sie sind wunderbare Wesen, ganz erstaunliche, wunderbare Wesen.«
»Sie sind ja ein Frauenliebhaber, Vater Viktor, genau wie ich«, stichelte Alik. Aber der Priester schien ihn nicht zu verstehen.
»Ja, ich bin ein schrecklicher Frauenliebhaber, mir gefallen fast alle Frauen«, bekannte er. »Meine Frau hat immer zu mir gesagt, ohne mein Priesteramt wäre ich bestimmt ein Don Juan.«
Was für schlichte Gemüter es doch gibt, dachte Alik.
Der Priester spann sein Thema weiter:
»Sie sind großartig. Alles würden sie opfern für die Liebe. Ihr ganzer Lebensinhalt ist oft die Liebe zu einem Mann, und . . . sie wird zu einer Art Kompensation. Aber hin und wieder, sehr selten, begegne ich ganz außergewöhnlichen Fällen: Die habgierige, besitzergreifende Liebe wandelt sich, und sie gelangen durch das Niedere, Alltägliche direkt zur Göttlichen Liebe. Das beeindruckt mich immer wieder. Ich glaube, auch Ihre Nina ist ein solcher Fall. Als ich hier eintrat, ist mir sofort aufgefallen, wie viele schöne Frauen um Sie sind, lauter gute Gesichter. . . Sie lassen Sie nicht im Stich, Ihre Freundinnen. Sie alle sind im Grunde, unter ihrer Schale, Friedensbringerinnen wie die Frauen am Grabe Christi.«
Der Priester war noch nicht alt, etwas über fünfzig, aber er sprach altmodisch gehoben.
Natürlich aus der ersten Emigration, vermutete Alik.
Die Bewegungen des Priesters waren ein wenig fahrig und unbeholfen. Auch das gefiel Alik.
»Schade, daß wir uns nicht früher kennengelernt haben«, sagte er.
»Ja, ja, eine Plage, diese Hitze«, antwortete der Priester zerstreut, denn er kam nicht los vom Thema Frauen, das ihn so inspirierte. »Wissen Sie, darüber könnte man eine ganze Doktorarbeit schreiben, über den Unterschied im Glauben von Frauen und Männern.«
»Irgendeine Feministin hat die bestimmt schon geschrieben. Vater Viktor, bitten Sie doch Nina, uns eine Margarita zu bringen. Mögen Sie Tequila?« fragte Alik.
»Ja, ich glaube schon«, antwortete der Priester unsicher.
Er stand auf und öffnete die Tür einen Spalt. Davor saß noch immer Nina, eine brennende Frage im Gesicht.
»Alik möchte eine Margarita«, sagte er zu Nina, die nicht gleich verstand. »Zwei Margaritas.«
Nach ein paar Minuten brachte Nina zwei breite Gläser und ging wieder, den beiden einen verständnislosen Blick über die Schulter zuwerfend.
»Na dann, trinken wir auf die Frauen?« schlug Alik mit seinem gewohnten freundlichen Spott vor. »Sie müssen mich tränken.«
»Ja, ja, gern.« Vater Viktor steckte Alik linkisch den Strohhalm in den Mund.
Er hatte im Leben schon manches gesehen, aber so etwas war ihm noch nie widerfahren. Er hatte Sterbenden die Sakramente erteilt, ihnen die Beichte abgenommen, sie mitunter getauft, aber noch nie hatte er einen mit Tequila
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