Ein froehliches Begraebnis
die Sprache so weit, daß er etwas Passendes erwidern konnte:
»Ich gehöre auch zu den Eingeladenen.«
Reb Menasche zuckte nicht mit der Wimper; er hatte es entweder nicht gehört oder nicht verstanden.
Inzwischen hatte Valentina Vater Viktor ein Glas mit einer trüben gelben Flüssigkeit in die Hand gedrückt, und er nippte vorsichtig daran.
Reb Menasche wandte wie gewohnt den Blick von den nackten Armen und Beinen der Männer und Frauen ab, wie er es bei sich zu Hause in Safed machte, wenn lärmende ausländische Touristen aus Ausflugsbussen auf das Pflaster seiner heiligen Stadt quollen, der Heimstatt des hohen Geistes der Mystiker und Kabbalisten. Vor zwanzig Jahren hatte er alldem den Rücken gekehrt und es nie bereut. Seine Frau Geula, die jetzt sein zehntes Kind trug, entblößte sich vor ihm niemals so schamlos wie die hier anwesenden Frauen.
Baruch ata Adonai, setzte er gewohnheitsmäßig zu einem Gebet an, dessen Sinn im wesentlichen ein Dank an den Allerhöchsten war, der ihn als Juden erschaffen hatte.
»Vielleicht essen Sie erst eine Kleinigkeit?« schlug Nina vor.
Ljowa antwortete mit einer Geste, die zugleich Dank, Erschrecken und Ablehnung ausdrückte.
Alik lag mit geschlossenen Augen da. Hinter seinen Lidern schlängelten sich auf mattschwarzem Hintergrund grelle gelbgrüne Fäden und bildeten rhythmische Ornamente, mobil und voller Sinn, doch Alik, der früher einmal intensiv das klassische Alphabet altertümlicher Teppiche studiert hatte, versuchte vergebens, die Grundelemente zu erfassen, aus denen dieses mäandernde Muster bestand.
»Alik, du hast Besuch.« Nina hob seinen Kopf an, wischte ihm mit einem feuchten Handtuch über die Stirn und rieb ihm die Brust ab. Dann deckte sie das orangefarbene Laken auf und wedelte damit über seinem flachen, nackten Körper, und Reb Menasche staunte noch einmal über die allgemeine amerikanische Schamlosigkeit.
Sie scheinen überhaupt nicht zu begreifen, was Nacktheit ist. Aus alter Gewohnheit lenkte er seine Gedanken auf die Urquelle, wo dieses Wort zum erstenmal ausgesprochen wurde.
»Und sie waren beide nackt und schämten sich nicht.« Mose eins, zweites Kapitel. Wo leben diese Kinder? Warum schämen sie sich nicht? Sie sehen nicht lasterhaft aus, eher unschuldig. Oder haben wir etwa verlernt, die Bibel zu lesen? Oder ist die Bibel für andere Menschen geschrieben, die sie auf andere Weise lesen?
Nina hob Aliks Knie an und legte sie aneinander, aber die Beine knickten hilflos wieder ab.
»Laß nur, laß«, sagte Alik, der die Augen noch immer geschlossen hielt und die letzte Windung des Ornaments betrachtete.
Nina schob ihm ein Kissen unter die Knie.
»Danke, Ninotschka, danke«, reagierte er und öffnete die Augen.
Ein großer schlanker Mann in Schwarz, den Kopf zur Seite geneigt, so daß die Krempe seines glänzenden schwarzen Hutes beinah die linke Schulter berührte, stand wartend vor ihm.
»Do you do speak English, don’t you?«
»I do«, sagte Alik lächelnd und zwinkerte Nina zu.
Sie ging hinaus, gefolgt von Ljowa.
Der Rabbi setzte sich auf die Fußbank, die noch warm war vom Gesäß des Priesters, und legte nach kurzem Zögern seinen staubigen Hut auf Aliks Bettkante. Nun war der große Mann in der Mitte eingeknickt, sein Bart lag auf seinen spitzen Knien. Seine riesigen Füße in den abgewetzten Schuhen mit Gummiband anstelle von Schnürsenkeln standen Spitze an Spitze, die Fersen gespreizt. Er war ernst und konzentriert; auf dem Polster aus schwarzem, graumeliertem Haar saß eine kleine gelbe Kipa, mit einer dünnen Haarnadel festgesteckt.
»Die Sache ist die, Rabbi: Ich sterbe«, sagte Alik.
Der Rabbi hüstelte und bewegte die langen, ineinandergehakten Finger. Er hegte kein spezielles Interesse für den Tod.
»Verstehen Sie, meine Frau ist Christin und möchte, daß ich mich taufen lasse. Daß ich Christ werde«, erklärte Alik und schwieg. Das Sprechen fiel ihm immer schwerer. Und überhaupt hatte er keinen Spaß mehr an der ganzen Sache.
Der Rabbi schwieg ebenfalls, streichelte seine Finger und fragte dann:
»Wie sind Sie denn auf diesen Unsinn verfallen?« Er gebrauchte fälschlicherweise eine englische Wendung, die einen Unfug ganz anderer Art bezeichnete, präzisierte aber seinen Gedanken, indem er sagte:
»Eine Torheit.«
»Eine Torheit für die Griechen. Aber ist es nicht für die Juden eine Versuchung? (In der deutschen Übersetzung lautet das entsprechende Bibelzitat: »Wir aber predigen den gekreuzigten
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