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Ein froehliches Begraebnis

Ein froehliches Begraebnis

Titel: Ein froehliches Begraebnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ljudmila Ulitzkaja
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hab gedacht, morgen früh!«
    Ljowa breitete nur die Arme aus, doch dann fiel ihm der Rabbi ein, der neben ihm stand und dessen Gesicht zugleich Strenge und Neugierde zeigte. Er verstand kein Wort Russisch.
    T-Shirt stand am Tisch, einen Pappteller mit einem riesigen Stück Torte in der Hand, und sah Ljowa eindringlich an. Der stürzte auf sie zu wie ein wildgewordener Eber und packte ihren Kopf.
    »Ach, Mäuschen! Mein Mäuschen!«
    Er küßte sie auf den Kopf, das nun fast erwachsene Mädchen, das so lange in seinem Haus gelebt, das er auf den Topf gesetzt und in den Kindergarten gebracht und zu dem er »Töchterchen« gesagt hatte.
    Mistkerl, so ein Mistkerl, dachte T-Shirt, den Kopf starr in seinen stählernen Armen. Ich hab mich so nach ihm gesehnt damals, jetzt scheiß ich drauf. Schweinebande, minderbemittelte, einer wie der andere! Sie drehte ihren stolzen Kopf ein bißchen, und Ljowa ließ sie taktvoll los.
    Der Rabbi sah aus wie aus dem Bilderbuch: Er trug einen zerknitterten schwarzen Anzug von ewig altmodischem Schnitt und einen operettenhaften schwarzen Seidenhut, der geradezu danach schrie, daß jedermann sich draufsetzte. Unter der glatten Krempe quollen von der Schläfe ungebändigte buschige Strähnen hervor, die sich partout nicht ringeln wollten. Er lächelte in seinen schwarzweißen Maskeradebart und sagte: »Good evening.«
    »Reb Menasche«, stellte Ljowa ihn vor. »Aus Israel.«
    Genau in diesem Augenblick ging die Schlafzimmertür auf, und zu den Gästen gesellte sich der verschwitzte, rosige, sternenäugige Vater Viktor im Leibrock. Nina bestürmte ihn:
    »Und?«
    »An mir soll’s nicht liegen, Nina. Ich werde kommen . . . Wissen Sie was: Lesen Sie ihm aus dem Evangelium vor.«
    »Das kennt er doch, hat er gelesen. Ich dachte, jetzt gleich.« Nina war enttäuscht. Sie war es gewöhnt, daß ihre Wünsche schnell erfüllt wurden.
    Vater Viktor lächelte verlegen. »Jetzt gleich möchte er noch eine Margarita.«
    Als Ljowa den Priester sah, packte er Irina am Handgelenk.
    »Was soll das? Treibst du deinen Spaß?«
    Irina erkannte seinen zornigen Blick und spürte einen Augenblick eher als Ljowa selbst dessen plötzlich aufflammende Erregung. Sie erinnerte sich noch genau, daß er am besten Liebe machte, wenn er vorher ein bißchen geärgert oder gekränkt wurde.
    »Das ist kein Spaß, Ljowotschka.« Sie sah ihm friedfertig in die Augen und unterdrückte dabei ein Lächeln und den vorwitzigen Impuls, ihm die Hand auf die Hose zu legen. Voller Haß auf sich wegen seiner beschämenden Sinnlichkeit errötete Ljowa, drehte sich zur Seite und ereiferte sich immer mehr:
    »Wie oft hab ich mir schon gesagt: Mit dir darf man sich nicht einlassen! Jedesmal gibt es Zirkus!« zischte er durch seinen vor Zorn bebenden Bart.
    Das war gelogen. Die Wahrheit war lediglich, daß sie ihn mit ihrem Auszug furchtbar verletzt hatte und er seiner ständig müden Frau mit den ehelichen Pflichten heftig zusetzte, in der vergeblichen Hoffnung, ihr Irinas Musik zu entlocken, die in ihr, soviel er sie auch rütteln mochte, einfach nicht steckte.
    »Du bist kein Weib, sondern das reinste Nesselfieber«, schnaubte Ljowa.
    Reb Menasche sah Ljowa fragend an. Er verstand kein Russisch und kannte auch die russische Emigration nicht, obwohl es jetzt in Israel von Juden aus Rußland wimmelte, aber nicht in Safed, wo er lebte. Dorthin zogen kaum Immigranten.
    Er war Sabre, gebürtiger Israeli, seine Muttersprache war Hebräisch. Er las auch Aramäisch, Arabisch und Spanisch, denn er beschäftigte sich mit der judäisch-islamischen Kultur der Epoche des arabischen Kalifats. Englisch sprach er frei, aber mit starkem Akzent. Nun lauschte er den Lauten des weichen Idioms und empfand sie als äußerst angenehm.
    Nina schob sich unerschrocken zwischen die beiden Bärtigen, faßte beide Hände des Rabbiners, schüttelte ihr leuchtendes Haar und sagte auf russisch zu ihm:
    »Danke, daß Sie gekommen sind. Mein Mann möchte mit Ihnen sprechen.«
    Ljowa übersetzte ins Hebräische. Der Rabbi nickte mit dem Bart und sagte zu Ljowa, wobei er mit den Augen auf Vater Viktor wies, der gerade den Leibrock auszog:
    »Ich staune, wie flink in Amerika die Priester sind. Kaum ruft ein Jude einen Rabbi, schon sind sie zur Stelle.«
    Vater Viktor lächelte dem Kollegen der feindlichen Konfession von weitem zu – seine Gutherzigkeit war wahllos und bar aller Prinzipien. Zudem hatte er in seiner Jugend über ein Jahr in Palästina gelebt und verstand

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