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Ein froehliches Begraebnis

Ein froehliches Begraebnis

Titel: Ein froehliches Begraebnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ljudmila Ulitzkaja
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aufgestellt: Noch niemand hatte in so kurzer Zeit ein komplettes Medizinstudium absolviert. Er wurde sofort in einem städtischen Krankenhaus eingestellt. Dort lernte er das amerikanische Gesundheitswesen in der Praxis kennen, widmete ihm siebzig Stunden in der Woche und fand es ebenso unbefriedigend wie das russische, aber aus anderen Gründen. Da entdeckte er einen Bereich, in dem er sich von den amerikanischen Ärzten fernhalten konnte. Er schätzte sie nicht sonderlich.
    Es war eine neue Fachrichtung, gerade erst im Entstehen. In Rußland wird es das in zwanzig Jahren noch nicht geben, vielleicht überhaupt nie, dachte er verbittert. Die Richtung hieß Computertomographie. Ein diagnostisches Verfahren, bei dem der Körper mit Isotopen bestrahlt und per Computer untersucht wird.
    Berman sagte immer, seine letzten Hirnzellen seien für die Beherrschung dieses hochmodernen Computers draufgegangen, seine letzte Energie für die Beschaffung des Geldes, um ihn zu kaufen und ein eigenes Diagnostiklabor einzurichten, und die letzten Reste seines Lebens würde er brauchen, um die gigantischen Schulden abzuzahlen, die im Ergebnis seiner Anstrengungen entstanden waren.
    Seine Praxis lief dennoch gut, sie kam langsam in Fahrt, aber sein gesamter Gewinn wurde aufgefressen von der Tilgung der Kredite und Zinsen, die in diesem Land so schnell und unmerklich wuchsen wie Schimmel an einer feuchten Wand.
    Berman hatte vierhunderttausend Dollar Schulden, Fima vierhundert; nach amerikanischer Logik gedieh der eine also prächtig, dem anderen dagegen ging es dreckig. Sie lebten in gleich schlechten Wohnungen, aßen das gleiche billige Zeug. Der einzige Unterschied bestand darin, daß Berman sich drei anständige »Doktor«-Anzüge gekauft hatte, während Fima mit schäbigen Klamotten auskam.
    »Wie ganz Amerika lebt, so leben auch wir«, sagte Berman manchmal lachend und klopfte Fima auf die Schulter.
    Sie wußten beide: Wenn Berman für seinen Kopf, für seine Ausbildung und sein abenteuerliches Projekt solche Kredite eingeräumt wurden, dann war er das auch wert. Und deshalb hätte er durchaus schon jetzt auf die bessere East Side ziehen können, wäre er nicht so geizig und übervorsichtig.
    Fima fühlte sich unbehaglich. Neid, nein, nicht Neid, aber eine Art Schmerz regte sich in ihm. Immerhin hatte Berman, als er sein Labor aufmachte, Fima angeboten, als Techniker bei ihm anzufangen, doch dafür hätte Fima Spezialkurse absolvieren müssen, aber er quälte sich noch immer mit Englischbüchern herum, machte sich selbst vor, daß er sich im nächsten Jahr bestimmt aufraffen und die verfluchten Prüfungen bestehen würde. Jedenfalls lehnte er Bermans Angebot ab.
    In Rußland hatten sie auf gleicher Stufe gestanden, zwei begabte junge Arzte, die sich ihres Wertes bewußt waren. Hier war Berman dank seiner für die Sache völlig unerheblichen Fähigkeit, in dieser Scheißsprache zu plappern, Fima so weit vorausgeeilt, daß der ihn nie mehr einholen konnte. Doch in diesem Fall, bei Alik, standen sie wie früher auf der gleichen Stufe: zwei Ärzte vor einem Kranken.
    Ihr heutiges Treffen war im Grunde eine Art Konsilium. Fima war der erste Arzt, an den Alik sich gewandt hatte, als sein rechter Arm zu versagen begann. Vor anderthalb Jahren.
    Eine Lappalie, beruflich bedingte Überbelastung, vielleicht eine Sehnenscheidenentzündung, hatte Fima anfangs gedacht, sich dann aber schnell besonnen. Der linke Arm war auch betroffen. Wenn der Prozeß so zügig voranschritt, konnte es sich um multiple Sklerose handeln. Eine gründliche Untersuchung war notwendig.
    Die erste Untersuchung nahm Berman vor. Unentgeltlich natürlich, sogar die Isotopen bezahlte er selbst. Der Computer fand nichts.
    »Ein echter Ami, das Ding«, spottete Berman, »der arbeitet nicht umsonst.«
    »Solange du äußerlich gesund bist, schließ eine Versicherung ab, Alter. Die wird erst in einem halben Jahr wirksam, aber ich garantiere dir, solche Sachen gehen nicht von selbst wieder weg«, lautete Bermans abschließendes Urteil.
    Aber Geld für eine Lebensversicherung hatte Alik nicht, außerdem dachte er nie darüber nach, was in einem halben Jahr sein würde. Aus demselben Grund und auch aus Widerwillen gegen Behörden, amtliche Papiere und Schlangestehen, den er noch aus sowjetischer Zeit behalten hatte, bezog er in Amerika nie Sozialhilfe.
    Viele Immigranten wetteiferten geradezu darum, wie man am geschicktesten zu allen möglichen Vergünstigungen kam, von

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