Ein froehliches Begraebnis
Hagana, und er selbst hatte sowohl gekämpft als auch gepflügt. Geboren wurde er vor den Mauern der Altstadt von Jerusalem, neben der Montefiore-Windmühle, und der erste Blick aus dem Fenster, an den er sich erinnerte, war der auf das Zionstor.
Er war zwanzig, als er, kurz nach den Panzern, zum erstenmal das Innere dieser Mauern betrat. Es roch noch nach Rauch und Eisen. Er kletterte überall herum, erforschte das ganze Gewirr der arabischen Gassen, sämtliche Dächer der christlichen und armenischen Viertel. Die christlichen Heiligtümer von Jerusalem erschienen ihm zweifelhaft, ebenso die meisten jüdischen. Der Abendmahlssaal erfüllte ihn mit besonderem Mißtrauen: Das geheime österliche Treffen konnte unmöglich auf den Gebeinen des Großen Königs stattgefunden haben. Im übrigen flößte ihm die Grabkammer Davids auch nicht gerade Vertrauen ein. Die ganze wunderbare Welt aus zartem weißen Stein, flimmerndem Licht und heißer Luft, die er so liebte, war voller historischer und archäologischer Ungereimtheiten, ganz im Gegensatz zur Welt der Bücherweisheit, die kristallklar aufgebaut war, ohne Lücken und Ungenauigkeiten, mit einer vernünftigen Entwicklung vom Niederen zum Höheren und mit paradoxen logischen Schleifen von großer Schönheit.
Was diese Erde ihm bedeutete, erkannte er zum erstenmal, als er weit weg war von Israel. Damals war er noch jung, hatte gerade die Universität absolviert und wurde nach Deutschland geschickt, um Philosophie zu studieren. Nach einem Jahr gründlichen und durchaus erfolgreichen Studiums erlosch sein Interesse an europäischer Philosophie, weil sie losgelöst war von der Grundlage des Lebens, die er einzig und allein in der Thora sah. So endete die kurze Zeit seiner akademischen Ausbildung, und in der Mitte seines dritten Lebensjahrzehnts schlug er den traditionellen Weg der jüdischen Wissenschaft ein, die im Grunde Theologie ist.
Damals heiratete er ein schweigsames Mädchen, das sich am Tag vor der Hochzeit die prächtigen rotblonden Locken abrasierte. Seitdem genoß er die Harmonie, die entstand aus der Verbindung eines bis auf die Stunde genau eingeteilten Alltags und der enormen intellektuellen Belastung, zugleich Lehrer und Lernender zu sein.
Seine Welt veränderte sich total: Informationen, die den meisten Menschen durch Radio, Fernsehen und weltliche Presse zugänglich sind, existierten für ihn nicht mehr, dafür bekam er einen Platz am »Schulchan Aruch« (Hebräisch: »Gedeckter Tisch«; Sammlung jüdischer Religionsgesetze, erstmals erschienen 1567.) , dem Tisch, der für alle gedeckt ist, die am jüdischen geistigen Erbe teilhaben wollen, und eine munter piepsende Kinderschar.
Nach fünf Jahren erschien sein erstes Buch, in dem er die stilistischen Unterschiede zwischen Saadjas Kommentaren zum Propheten Daniel und zu den Büchern der Chronik untersuchte, und zwei Jahre später zog er nach Safed.
Seine Welt war biblisch einfach und talmudisch kompliziert, aber alles fügte sich ineinander, und die tägliche Arbeit mit den mittelalterlichen Texten verlieh der Gegenwart einen Hauch von Ewigkeit. Unten, am Fuße des Berges, blaute der See Genezareth, und hier empfand er zum erstenmal tiefe Dankbarkeit gegenüber dem Allerhöchsten – die ein Christ zweifellos pharisäisch genannt hätte – für sein glückliches Los, zugleich dienen und erkennen zu dürfen, für die Heiligkeit seiner Erde, die für viele nur ein schmuddeliger, provinzieller orientalischer Staat war, für ihn aber der unbestrittene Mittelpunkt der Welt, gegen den alle anderen Staaten mit ihrer Geschichte und ihrer Kultur sich ausnahmen wie eine Fußnote.
Durch das Gewühl der Gäste kam der Priester auf ihn zu, inzwischen ohne Leibrock.
»Ich habe gehört, Sie kommen aus Israel und halten hier Judaistik-Vorlesungen?« fragte er ihn in unbeholfenem Schulenglisch.
Menasche stand auf. Er hatte noch nie mit einem Priester gesprochen.
»Ja, ich unterrichte zur Zeit an der New Yorker Jeschiwa. Ich beschäftige mich mit der judäisch-arabischen Epoche.«
»Dort gibt es ausgezeichnete Vorlesungen. Ich habe vor einiger Zeit ein Buch gelesen, eine Vorlesungsreihe zur biblischen Archäologie, herausgegeben von der Jeschiwa«, sagte der Pope und lächelte erfreut. »Aber Ihr judäisch-arabisches Thema ist wahrscheinlich als versteckter Seitenhieb auf die heutige Zeit aufzufassen?«
»Als Seitenhieb?« Der Rabbi verstand nicht gleich. »Nein, nein, mich interessieren keine politischen
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