Ein Ganz Besonderer Fall
abwies. Er hatte die Zustimmung seines Herren und brauchte nun nichts weiter als die Zuneigung des Mädchens, die Billigung ihrer Familie und den Segen der Kirche zu erlangen.
»Ich hörte einmal von einer Regel«, wandte Bruder Edmund ein, »daß die Verlobte eines Mannes nicht unbedingt frei wird, wenn dieser in einen Orden eintritt. Aber es scheint mir selbstsüchtig und gierig, in beiden Welten Ansprüche zu haben und sich das Leben zu wählen, das man leben will, der Dame aber die gleiche Entscheidung vorzuenthalten. Ich glaube jedoch, daß sich diese Frage nur selten erhebt; höchstens dann, wenn ein Mann es nicht erträgt, zu verlieren, was er einst besaß, und sie in Ketten legen will. Das trifft in diesem Fall nicht zu, denn Bruder Humilis ist froh, daß die Dinge eine so glückliche Wendung nehmen. Natürlich kann sie inzwischen auch verheiratet sein.«
»Das Gut von Lai«, grübelte Cadfael. »Was wißt Ihr darüber, Edmund? Welche Familie sitzt dort?«
»Es gehörte den Cruces. Humphrey Cruce, wenn ich mich recht erinnere; er könnte der Vater des Mädchens sein. Die Familie besitzt mehrere Güter oben in Ightfield und Harpecote - und in Prees, gegeben vom Bischof von Chester. Außerdem einige Ländereien in Staffordshire. Lai haben sie zu ihrem Hauptsitz gemacht.«
»Dort will er hin. Wenn er nun erfolgreich zurückkehrt«, sagte Cadfael zufrieden, »dann hat er Humilis eine große Bürde abgenommen. Humilis war schon sehr froh, überhaupt das ehrliche gebräunte Gesicht zu sehen, aber wenn der Junge jetzt auch noch die Zukunft des Mädchens sichert, dann mag er damit gleichzeitig das Leben seines Herren um einige Jahre verlängern.«
Sie gingen beim ersten Ton der Glocke zur Komplet.
Der Besuch hatte Humilis’ Genesung tatsächlich einen Schub versetzt, denn er kam zur Andacht, angekleidet und aufrecht an Fidelis’ Arm, ohne seine Ärzte um Erlaubnis gebeten zu haben, um zusammen mit den anderen am Abendgottesdienst teilzunehmen. Ich will ihn zurückscheuchen, sobald die Andacht vorbei ist, dachte Cadfael, der sich um seine Verbände sorgte.
Soll er dieses eine Mal seinen Stolz zur Schau tragen; das spricht für seinen Lebensmut, auch wenn das Fleisch vor Anstrengung gespannt ist. Und wer bin ich, daß ich bestimmen dürfte, was ein Bruder, der mir gleichgestellt ist, zu seinem Seelenheil tun darf und was nicht?
Die Abende wurden bereits kürzer, denn der Hochsommer war vorbei. Nur die Hitze hielt sich, als wollte sie nie weichen.
Im düsteren Chorgestühl war das letzte Licht des Tages gefärbt wie Irisblüten. Es duftete leicht nach den warmen, schweren Gerüchen von Ernte und Früchten. Der ansehnliche, verstümmelte Mann, der trotz seiner erst knapp über vierzig Jahre schon alt war, stand stolz an seinem Platz, Fidelis zu seiner Linken, und links neben Fidelis stand Rhun. Ihre jugendliche Schönheit schien alles Licht zu bündeln, so daß sie wie entzündete Kerzen von innen heraus zu strahlen schienen.
Ihnen gegenüber war Bruder Uriens Platz im Chorgestühl. Er sang kniend mit der vollen, sicheren Stimme eines reifen Mannes, konnte aber die Augen nicht abwenden von diesen beiden jungen, leuchtenden Köpfen. Jeder Tag brachte die beiden einander näher, den Stummen und den Sprechenden, die so schlecht zueinander paßten und ihn ungerechterweise ausschlossen; der eine so begehrenswert und unberührbar wie der andere, während in Uriens Bauch Tag und Nacht eine Sehnsucht brannte, die durch kein Gebet zu kühlen und durch keine Musik zu besänftigen war. Sie zerfraß ihn von innen wie die scharfen Zähne eines Wolfes.
Inzwischen sahen die beiden für ihn - ein schreckliches Vorzeichen! - wie die Frau aus. Wenn er einen der beiden Jungen erblickte, lösten sich seine Züge auf und veränderten sich unmerklich, bis er ihr Gesicht und ihre Augen sah, die kein Erkennen und keine Verachtung zeigten, sondern einfach durch ihn hindurch starrten, um jemand anders zu betrachten. Sein Herz stach unerträglich, während er leise die Psalmen der Komplet sang.
Im Zwielicht der lieblichen, offenen Landschaft im Norden der Grafschaft, wo sich das Tageslicht länger hielt als in den rauhen Hügeln an der Westgrenze, ritt Nicholas Harnage zwischen ebenen, üppigen Feldern, die in der ungewohnten Hitze ausgetrocknet waren, durch das Tor im geflochtenen Zaun in das Gut von Lai ein. Das Haus stand inmitten der weitläufigen Felder auf der Ebene; man hatte nur wenig Bäume gesetzt, um Platz für den
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