Ein ganzes Leben mit dem Asperger-Syndrom

sogar Telefonnummern und Formeln merken kann, nachdem ich sie nur ein einziges Mal gehört habe. Wenn mir etwas oder jemand große Angst einflößt oder mir etwas wehtut, kann ich zwar die Lippen bewegen und ein Geräusch produzieren, aber die richtigen Worte wollen mir nicht gelingen.« 45
»Aspergisch« sprechen
    Ich habe nun schon zahllose Gespräche mit Menschen mit Asperger-Syndrom geführt und konnte über die vielen Jahre mein Verständnis für Ihre kognitiven, sozialen und sprachlichen Fähigkeiten verbessern. Dabei habe ich einen Gesprächsstil entwickelt, den ich »Aspergisch« nenne. Dazu gehört, dass ich sehr genau überlege, was ich sage und wie ich es sage. Ein Gespräch fällt deutlich leichter, wenn Sie auf Redewendungen verzichten. Wenn sich das Gesprächsthema um soziale Konventionen, um Gedanken oder Gefühle dreht, mache ich zwischen jedem Satz eine kleine Pause, damit mein Gegenüber die Informationen verarbeiten kann. Das geschieht bei ihm eher intellektuell als intuitiv. Temple Grandin erklärte mir einmal, dass die anderen meist zu schnell sprechen und sie nicht alle Kommunikationskanäle zugleich verarbeiten kann. Sie kann also nicht gleichzeitig auf die gesprochenen Wörter, die Prosodie, die Körpersprache und den Gesichtsausdruck achten.
    Wenn Sie »Aspergisch« sprechen, müssen Sie Ihre Absichten klar zum Ausdruck bringen. Vermeiden Sie Doppeldeutigkeiten und unnötige Feinheiten. Fehlenden Augenkontakt und unerwartete Gesprächspausen, in denen das Gegenüber die Informationen verarbeitet, müssen Sie dabei in Kauf nehmen. Insbesondere körperliche Gesten der Zuneigung, wie eine Berührung am Arm oder ein Küsschen als Dank für ein Geschenk, sollten Sie in jedem Fall vorher ankündigen und erklären, damit derjenige davon nicht überrascht wird.
    Gesichtsausdrücke müssen eindeutig und auf das Thema bezogen sein. Sticheleien und Sarkasmus sollten Sie vermeiden. Die Person mit Asperger-Syndrom kann auch Probleme damit haben, Lob und Komplimente anzunehmen. Hintergrundgeräusche sollten Sie ebenfalls vermeiden, zum Beispiel, indem Sie sich einen ruhigeren Ort suchen. Menschenmengen erhöhen dagegen den Stresslevel und beeinträchtigen Sprachverständnis und Ausdrucksfähigkeit. Lassen Sie sich durch die direkte und ehrliche Art eines solchen Menschen nicht schockieren und behalten Sie immer im Hinterkopf, dass Ihr Gesprächspartner keine natürliche Begabung in der Kunst der Konversation besitzt.
    Zu den im vorherigen Kapitel beschriebenen Spezialinteressen können auch Fremdsprachen gehören. Einige Menschen mit Asperger-Syndrom sind in der Lage, viele verschiedene Fremdsprachen zu erlernen und akzentfrei zu sprechen, was zur erfolgreichen Arbeit als Übersetzer oder Dolmetscher führt. Die »soziale Sprache« ist dagegen für sie viel schwieriger zu erlernen. Geoff formulierte das mir gegenüber so: »Wenn ich an einem sozialenGespräch beteiligt bin, ist das wie eine andere Sprache für mich.« Wenn wir Kindern mit Asperger-Syndrom diese »soziale Fremdsprache« möglichst früh beibringen, können sie sie möglicherweise später »wie eine Muttersprache« beherrschen.
    ZUSAMMENFASSUNG
    Sprachliche Besonderheiten
Ungewöhnliche Sprachfähigkeiten sind ein wesentliches Merkmal des Asperger-Syndroms.
Standardisierte Sprachtests sind oft nicht in der Lage, die Sprachmerkmale von Menschen mit Asperger-Syndrom zu erfassen.
Die Neigung des Kindes, komplexe Sätze zu verwenden, bedeutet nicht, dass es auch komplexe Anweisungen vollständig versteht.
Das Kind kann in einer Testsituation bei einem Logopäden sprachliche Fähigkeiten beweisen, aber dennoch beträchtliche Schwierigkeiten damit haben, im realen Leben das Gesagte schnell genug zu verarbeiten.
Einige Kinder weisen eine verzögerte Sprachentwicklung auf, doch bestehen die ersten Äußerungen manchmal aus mehreren Wörtern oder Sätzen.
Die Person folgt in einem Gespräch oft nicht den üblichen Regeln im Hinblick auf die Einleitung, die Aufrechterhaltung und die Beendigung eines Gesprächs.
    Wie Sie die Konversationsfähigkeiten fördern können
Erläutern Sie den sozialen Kontext und Konventionen sowie die Erwartungen, Gedanken und Gefühle von allen Gesprächsteilnehmern mit Social Stories.
Vermitteln und üben Sie neue Konversationsfähigkeiten mithilfe interaktiver Spiele und Rollenspielen.
Machen Sie im Übungsgespräch absichtlich Fehler und bitten das Kind, diese zu erkennen und zu korrigieren.
Zeigen Sie, mit welchen