Ein Garten im Winter
liegen. »Ich stamme aus Dublin, schon vergessen? Ich weiß, wie es ist, wenn man jemanden verliert, Nina. Ich weiß, dass es einem wie Säure die Eingeweide verbrennt. Und ich weiß alles übers Wegrennen. Du bist schließlich nicht die Einzige hier in Afrika.«
»Was willst du von mir, Danny? Was?«
»Erzähl mir von deinem Dad.«
Wie ein in die Ecke getriebenes Tier starrte sie ihn an. Sie wollte seiner Bitte folgen, aber sie konnte es nicht. Ihre Gefühle, ihre Trauer waren so mächtig, dass sie nie wieder zurückfinden würde, wenn sie sich einmal von ihnen davontragen ließe.
»Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Er war … wie meine Sonne.«
»Genau das, was du für mich bist«, flüsterte er.
Dadurch fühlte Nina sich nicht besser, sosehr sie es sich auch wünschte. Ein Ungleichgewicht in der Liebe war ihr nicht fremd. Sie wusste, wie man innerlich aufgezehrt werden konnte, wenn man mehr liebte als der geliebte Mensch. Hatte sie nicht genau diesen Schmerz in den Augen ihres Vaters gesehen, wenn er ihre Mutter anblickte? Ganz sicher. Diesen Schmerz vergaß man nicht, wenn man ihn einmal gesehen hatte. Ihr würde es das Herz brechen, wenn Danny sie jemals so ansähe. Und das würde er. Früher oder später würde er merken, dass sie ihren Vater zwar geliebt hatte, aber eher wie ihre Mutter war.
»Können wir nicht einfach –«
»Einstweilen«, sagte er, aber sie wusste, dass dies nicht das letzte Wort war.
Die Vorstellung, ihn zu verlieren, machte sie seltsam unruhig, daher tat sie, was sie immer tat, wenn ihre Gefühle sie zu überwältigen drohten: Sie ließ die Hände über seine nackte Brust gleiten, bis zum Bauchnabel, die feine Haarlinie hinunter, immer tiefer, und als sie ihn berührte und spürte, wie sehr er sie begehrte, wusste sie, dass er noch ihr gehörte.
Einstweilen.
Der schiefergraue Himmel ist wolkenverhangen. Eine einsame Möwe segelt kreischend im Wind. Sie ist ein kleines Mädchen mit langen braunen Zöpfchen und aufgeschürften Knien. Vor ihr hüpft, sich drehend, ein Flugdrachen im Sand. Sie rennt ihm nach, aber er schießt in die Höhe, bevor sie ihn fassen kann.
»Daddy«, schreit sie, weiß jedoch, dass er zu weit weg ist. Er kann sie nicht hören. »Ich bin hier hinten –«
Panisch schrak Meredith hoch. Sie setzte sich auf und blickte sich um, obwohl sie wusste, dass er nicht da war. Es war nur wieder ein Alptraum gewesen.
Immer noch müde und steif von einer halb durchwachten Nacht kletterte sie vorsichtig aus dem Bett, um Jeff nicht aufzuwecken. Sie ging zum Fenster und starrte hinaus in die Dunkelheit. Bis jetzt war noch kein Anzeichen der Dämmerung zu sehen. Sie schlang die Arme um sich und versuchte, sich selbst festzuhalten. In letzter Zeit fühlte es sich so an, als lösten sich, wie in einer schlimmen Form psychischer Lepra, Stücke von ihrer Seele ab.
»Komm wieder ins Bett, Mere.«
Sie drehte sich nicht um. »Tut mir leid, dass ich dich geweckt habe.«
»Warum schläfst du heute nicht mal aus?«
Die Vorstellung war verlockend, sich in seine Arme zu schmiegen, die Decke über sich zu ziehen und zu schlafen, während die Welt da draußen ohne sie weiterging. »Ich wünschte, das ginge«, erwiderte sie, während ihre Gedanken bereits zu den Pflichten des Morgens wanderten. Wenn sie schon wach war, konnte sie sich auch an die Quartalssteuern setzen. Nächste Woche hatte sie ein Meeting mit dem Buchhalter und musste alles vorbereitet haben.
Jeff stieg aus dem Bett und stellte sich hinter sie. Sie sah das silbrige Spiegelbild ihrer Gesichter auf der schwarzen Fensterscheibe.
»Du kümmerst dich um alles und jeden, Mere. Aber wer kümmert sich um dich?«
Sie wandte sich zu ihm um und ließ sich von ihm in die Arme nehmen. »Du.«
»Ich?«, stieß er hervor. »Ich bin doch nur ein weiterer Punkt auf deiner Pflichtenliste.«
Zu einem anderen Zeitpunkt – im letzten Jahr vielleicht – hätte sie widersprochen und entgegnet, das sei nicht fair, aber jetzt war sie auch dazu zu müde.
»Nicht jetzt, Jeff«, brachte sie nur hervor. »Ich will mich nicht streiten.«
»Ich weiß, wie sehr du dich quälst –«
»Natürlich quäle ich mich. Mein Dad ist gestorben.«
»Aber das ist noch nicht alles. Du tust einfach zu viel«, fuhr er leise fort. »Du tust immer noch alles, um ihre Aufmerksamkeit zu erregen, genau wie –«
»Was soll ich denn machen? Sie ignorieren? Oder vielleicht meinen Job aufgeben?«
»Jemanden einstellen. Ihr ist es doch völlig
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