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Ein Garten im Winter

Ein Garten im Winter

Titel: Ein Garten im Winter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristin Hannah
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Knospe starren konnte, um zu sehen, wann sie erblühte. Sie kommt, Mommy. Die Blüte kommt gleich. Soll ich Grandpa holen?
    Es hatte genau zehn Minuten gedauert, Jillian das Autofahren beizubringen. Ich hab die Handbücher gelesen, Mom. Du musst nicht die Zähne zusammenbeißen. Vertrau mir.
    »Ich hab dich lieb, Jillie«, sagte Meredith und bemerkte eine Sekunde zu spät, dass sie ihre Tochter unterbrochen hatte. Es ging gerade um Enzyme. Oder Ebola. Meredith lachte, weil sie ertappt worden war, nicht zugehört zu haben. »Und ich bin wirklich stolz auf dich.«
    »Ich langweile dich zu Tode, oder?«
    »Nur bis ins Koma.«
    Jillian lachte. »Okay, Mom. Ich muss jetzt los. Hab dich lieb.«
    »Ich dich auch, Beetle.«
    Als Meredith auflegte, ging es ihr schon besser. Sie fühlte sich wieder ganz. Mit ihren Mädchen zu reden war das beste Mittel gegen Depressionen. Es sei denn, sie bekam wegen dieser Gespräche Depressionen …
    Den Rest des Tages saß sie am Küchentisch ihrer Mutter, erledigte die Steuer, las Ernteberichte, kalkulierte die Lagerhauskosten, überredete ihre Mutter, etwas zu essen, bezahlte ihre Rechnungen und wusch ihre Wäsche.
    Als um acht Uhr abends das Geschirr gespült und das Essen in den Kühlschrank geräumt war, ging sie ins Wohnzimmer.
    Die Mutter saß auf dem Lieblingssessel ihres Mannes und strickte. Sie hatte die Bodenlampe neben dem Sessel eingeschaltet, und in dem Licht erschien ihr Gesicht trügerisch weich. Links von ihr flackerte eine Kerze auf ihrem Privataltar und ließ eine Rauchspirale zur Decke steigen.
    Sie hatte die Augen geschlossen, während ihre Finger emsig die Stricknadeln bewegten. Ihre dunklen Wimpern beschatteten die bleichen Wangen und verliehen ihr etwas unirdisch Melancholisches.
    »Es ist Zeit, ins Bett zu gehen, Mom«, sagte Meredith und bemühte sich, weder ungeduldig noch müde zu klingen. Sie schaltete das Deckenlicht ein, und alle Intimität war verflogen.
    »Ich kann selbst entscheiden, wann ich was mache«, entgegnete die Mutter.
    Das war der Auftakt des endlosen Prozesses, sie nach oben ins Bett zu bekommen. Sie stritten über alles: das Zähneputzen, das Umziehen, das Sockenausziehen.
    Kurz nach neun hatte Meredith ihre Mutter schließlich im Bett. Sie zog ihr die Decke bis zum Kinn wie einst bei Jillian und Maddy. »Schlaf gut«, sagte sie. »Träum schön von Dad.«
    »Träume tun weh«, erwiderte sie leise.
    Meredith wusste nicht, was sie darauf sagen sollte. »Dann träum von deinem Garten. Die Krokusse blühen bald.«
    »Kann man sie essen?«
    Das war in der letzten Zeit eine typische Szene: In der einen Sekunde war ihre Mutter noch voll da und ansprechbar und in der nächsten war sie in eine andere Welt versetzt.
    Meredith hätte nur zu gern geglaubt, dass die Trauer der Grund für die Verwirrung, die Absencen ihrer Mutter war. Dass mit der Trauer auch alles andere schwinden würde.
    Doch mit jedem Tag, der verstrich, und jedem Vorfall, bei dem sie desorientiert wirkte, glaubte Meredith weniger an Dr. Burns’ Diagnose. Sie befürchtete, dass es nicht nur Trauer war, sondern wirklich Alzheimer. Wie sollte man sonst ihre plötzliche Besessenheit von Lederschuhen und Butterpäckchen erklären (die Meredith neuerdings überall im Haus versteckt fand), oder diesen sagenhaften Löwen, von dem ihre Mutter manchmal sprach?
    Meredith berührte die Frau, die jetzt nicht ihre Mutter war, um sie wie ein verängstigtes Kind zu trösten. »Keine Angst. Wir haben unten mehr als genug zu essen.«
    »Ich schlafe nur kurz, dann gehe ich aufs Dach.«
    »Nein, nicht aufs Dach«, erwiderte Meredith müde.
    Ihre Mutter seufzte und schloss die Augen. Fast unmittelbar darauf war sie eingeschlafen.
    Meredith ging im Zimmer herum und hob Decken und andere Dinge auf, die ihre Mutter fallen lassen hatte.
    Unten steckte sie eine Ladung Wäsche in die Waschmaschine, damit sie fertig war, wenn sie morgen wiederkam. Dann packte sie noch zwei Care-Pakete für Jillian und Maddy.
    Als sie damit fertig war, gingen die Zeiger der Uhr auf zehn.
    Zu Hause fand sie Jeff im Arbeitszimmer, wo er an seinem Buch schrieb.
    »Hey«, sagte sie und trat ein.
    Er wandte sich nicht um. »Hey.«
    »Wie läuft’s mit dem Buch?«
    »Super.«
    »Ich hab es immer noch nicht gelesen.«
    »Ist mir nicht entgangen.« Endlich drehte er sich zu ihr um.
    Sein Blick war ihr mittlerweile vertraut, er zeigte Enttäuschung, und plötzlich sah sie wie aus der Distanz sich und ihn und die Situation, und diese neue

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