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Ein Garten im Winter

Ein Garten im Winter

Titel: Ein Garten im Winter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristin Hannah
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hatten.
    Plötzlich wollte sie nicht mehr allein hier sein, sie wollte nicht versuchen, sich mit fernsehen abzulenken.
    »Los, Doggys«, sagte sie und griff nach ihrem Mantel. »Wir machen einen Spaziergang.«
    Zehn Minuten später hatte sie schon ihr Elternhaus erreicht. Sie ließ die Hunde auf der Veranda, ging hinein und rief nach Nina.
    Aber sie fand nur ihre Mutter, die im Wohnzimmer strickte.
    »Hey, Mom.«
    Sie nickte, blickte aber nicht auf. »Hallo.«
    Meredith versuchte, nicht enttäuscht zu sein. »Ich mache mit dem Packen weiter. Brauchst du irgendwas? Hast du schon gegessen?«
    »Mir geht’s gut. Nina hat Abendessen gemacht. Danke.«
    »Wo ist sie denn?«
    »Draußen.«
    Meredith wartete, doch als nichts mehr kam, sagte sie: »Ich bin oben, falls du mich brauchen solltest.«
    Sie schleppte Kartons nach oben und machte sich daran, den begehbaren Schrank im Elternschlafzimmer auszuräumen. Die linke Seite gehörte dem Vater: Dort lagen Strickjacken und Poloshirts in leuchtenden Farben. Sie berührte sie sanft und fuhr mit den Fingern über die weichen Ärmel. Bald würden die Kleider eingepackt und weggegeben werden, doch jetzt mochte Meredith nicht daran denken.
    Also fasste sie die Seite ihrer Mutter ins Auge. Da würde sie anfangen.
    Sie begann bei dem Stapel Pullover auf dem Regalbord über den Kleidern. Sie nahm den ganzen Stoß und ließ ihn auf den Teppichboden fallen. Dann kniete sie sich daneben und widmete sich der schwierigen Aufgabe, sie zu sichten, zu falten und auszusortieren. Sie war so darin vertieft, dass sie nicht merkte, wie die Zeit verging, und zusammenfuhr, als sie Ninas Stimme hörte.
    »Sitzt du bequem, Mom?«, fragte Nina.
    Meredith ging zur Tür und öffnete sie einen Spalt.
    Die Mutter saß im Bett, die Nachttischlampe neben ihr brannte. Sie hatte ihr Haar gelöst und hinter die Ohren gekämmt. »Ich bin müde.«
    »Ich hab dir genug Zeit gelassen«, erwiderte Nina, die auf dem Boden vor dem kalten, dunklen Kamin saß.
    Meredith rührte sich nicht; sie löschte nur das Licht des begehbaren Schranks und blieb, wo sie war.
    »Schön«, erwiderte die Mutter seufzend und schaltete die Nachttischlampe aus.
    »Belije Notschi« , sagte sie dann, und diese Worte waren voller Magie, ihre Stimme klang leidenschaftlich und geheimnisvoll. »Die Weißen Nächte sind eine Zeit des Lichts im Schneereich. Dann glitzern Feen auf hellgrünen Blättern und Regenbögen wirbeln über den nächtlichen Himmel. Die Laternen brennen zwar, doch sind sie nur noch Dekoration, Oasen goldenen Lichts über funkelnden Straßen, und an den seltenen Regentagen spiegelt sich alles in diesem Licht.
    An einem solchen Tag reinigt Vera die Vitrinen im großen Saal der vergessenen Elfenschriften. Sie hat darum gebeten, denn es geht das Gerücht, dass die Elfen manchmal denen erscheinen, die an sie glauben. Vera möchte wieder an etwas glauben.
    Sie ist allein im Schriftensaal (denn in diesen gefährlichen Zeiten wagen nur wenige, in der Vergangenheit zu forschen) und summt ein Lied, das ihr Vater ihr beigebracht hat.
    »In der Bibliothek ist Ruhe geboten.«
    Vera erschrickt so, dass sie den Putzlappen fallen lässt. Vor ihr steht eine storchenähnliche Gestalt: eine große, spindeldürre Frau mit schnabelförmiger Nase. »Verzeihung. Hier ist nie jemand, deshalb dachte ich –«
    »Lassen Sie das. Man kann nie wissen, wer mithört.«
    Vera weiß nicht, ob dies als Warnung oder Rüge gemeint ist. In letzter Zeit ist es schwierig, solche Nuancen zu unterscheiden. »Ich bitte noch mal um Entschuldigung.«
    »Gut. Die Bibliothekarin Dufours hat mir mitgeteilt, dass ein Student Sie angefordert hat. Er ist ein Schüler von Priester Newin. Helfen Sie ihm, aber vernachlässigen Sie nicht Ihre Pflichten.«
    »Ja«, sagt Vera. Äußerlich ist sie ganz ruhig, doch innerlich freut sie sich wie ein kleiner Hund, der nach draußen kommt. Der Geistliche hat einen Studenten gefunden, der sie unterrichten wird! Sie wartet, bis die Bibliothekarin gegangen ist, und räumt dann ihre Putzsachen weg.
    Viel zu rasch läuft sie die breite Marmortreppe hinunter und berührt dabei kaum das Geländer. Sie versucht, sich zu bremsen, aber vergeblich; es ist lange her, dass sie das letzte Mal so aufgeregt war. Die große Haupthalle der Bibliothek ist vollgestellt mit Tischen, und viele Besucher laufen hin und her. Vor dem Schreibtisch des leitenden Bibliothekars hat sich eine lange Schlange gebildet.
    Plötzlich hört sie, wie ihr Name gerufen

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