Ein Garten mit Elbblick (German Edition)
gutem körperlichem Zustand, bis auf den Hals natürlich. Innerlich – wird die Obduktion zeigen. Dunkelblond, gut rasiert, kein Lippen-, Kinn- oder sonstiger Bart. Etwa sechs Fuß groß, ich meine, gut einen Meter siebzig, genauer dann auch später. Ebenso der Punkt ‹Besondere Kennzeichen›. Weiter: allgemein gepflegte Erscheinung, Kleidung von sehr guter Qualität, ach ja, und die Hände verraten: kein Arbeiter. Klar, bei der Kleidung. Er saß wohl nicht oft im Sattel, und wenn, zumeist in gemächlicher Gangart, sonst sähen die Hände auch anders aus. Todesursache: Schnitt durch die linke Halsschlagader, wahrscheinlich mit einem Wurfmesser.»
«Wurfmesser? Wie im Varieté?» Henningsen machte große Augen. «Wie kommen Sie darauf? Kann man damit so genau treffen? Es war doch dunkel.»
«Gute Fragen. Dr. Winkler behauptet, da war ein Könner am Werk.» Ekhoff stützte das Kinn in die Hände und rief sich das Bild vor Augen, das ihn einige Stunden zuvor am Meßbergbrunnen erwartet hatte. «Es war Nacht, richtig. Aber nur noch wenige Tage bis Vollmond, und der Himmel war klar. Zudem lag der Tote direkt am Vierländerin-Brunnen, die Blutlache und so weiter zeigt, er hat dort gestanden, als das Messer ihn erwischte, und ist auch dort gestorben. Der Brunnenaufsatz hat vier Laternen, das gibt einiges an Licht. Trotzdem bestehen zwei Möglichkeiten. Nummer eins: Der Mörder hat verdammt gute Augen und eine geübte Hand. Nummer zwei: Er hat sein Messer geworfen und einfach Glück gehabt.»
«Hmm. Glück? Nur wenn er den Mann auch treffen und töten wollte . Es könnte doch sein», erklärte Henningsen auf Ekhoffs verständnislosen Blick, «dass er ihn nur erschrecken wollte. Oder das Opfer ist einem heranfliegenden Messer in den Weg gelaufen. Direkt in die Flugbahn sozusagen. Es gab vor gar nicht langer Zeit einen solchen Fall, da hat jemand Schießübungen gemacht und seine Frau getroffen. Das war ein Unfall. Wirklich tragisch.»
«Eine seltsame Art, jemanden zu erschrecken, finden Sie nicht?» Ekhoff wollte auf den Fall mit dem Unglücksschützen nicht eingehen. Er war damals selbst als Assistent an der Klärung des Hergangs beteiligt gewesen; außer dem Schützen selbst hatte es keine Zeugen gegeben, er, Ekhoff, hatte ihn für einen kalt berechnenden Mörder gehalten und geargwöhnt, er genieße Protektion in höchsten Kreisen der Stadt. Dabei war von Verwandten, Dienstboten und dem Hausarzt der Toten versichert worden, die Ehe sei sehr glücklich gewesen. Der erfahrene alte Kommissar Jowinsky hatte damals seinen Eifer energisch gebremst. Dafür war er ihm heute noch dankbar. Denn einige Wochen später hatte sich der Mann selbst erschossen, weil er «mit der Schuld am Tod seiner über alles geliebten Frau» nicht weiterleben wollte und konnte. So hatte es in seinem Abschiedsbrief gestanden.
«Ich kann mir schwer jemanden vorstellen, der etwa zwischen zwei und vier Uhr in der Nacht auf einem öffentlichen Platz Messerwerfen übt.»
Henningsen rieb sich die Nasenwurzel. «Ja, wohl kaum.» Er erinnerte sich an Kapriolen, zu denen das berühmte eine Glas Wein oder Schnaps zu viel animieren konnte, nickte dennoch bedächtig. «Weder bei Tag noch bei Nacht. Ich dachte nur, man müsse das in Betracht ziehen.»
«Gut gedacht, Henningsen, man sollte immer alles in Betracht ziehen, was einem in den Kopf kommt. Selbst wenn es noch so abwegig erscheint. Allerdings sollte man wenigstens kurz darüber nachdenken, bevor man es preisgibt. Besonders vor hohen Vorgesetzten. Gucken Sie nicht erschreckt, ich bin nur ein einfacher Kommissar, ich will alles hören. Also – ob Messerwerfer oder -stecher, wir gehen von Mord aus, bis uns der, der es zu verantworten hat, vom Gegenteil überzeugt. Langer Weg bis dahin. Zuerst: Wer ist das Opfer? Er hatte nichts bei sich, was auf seine Identität hinweist. Auch kein Passpapier, obwohl er französische Schuhe trug und deshalb vielleicht Ausländer war.»
«Belgische, Pardon.»
«Belgische Schuhe. Natürlich.» Anders als Ekhoff war Henningsen der in das Innenleder geprägte Schriftzug samt Wohnort des Schusters offenbar vertraut.
In das Jackett war das Emblem eines Londoner Schneiders eingenäht, was aber nicht viel zu sagen hatte, etliche Hamburger mit gut ausgestatteter Geldbörse trugen Kleidung von Londoner Schneidern. Wenn auch immer mehr Manufakturwaren angeboten wurden – komplett mit Maschinen genähte Kleidung als Massenware –, so handelte es sich dabei kaum um
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