Ein Garten mit Elbblick (German Edition)
klar.»
Ekhoff blieb stehen und sah seinen Assistenten verblüfft an. «Sie lesen solche – Geschichten?»
«Detektivgeschichten? Natürlich. Sicher haben die wenig mit unserer tatsächlichen Arbeit zu tun, aber ich finde sie interessant. Sogar lehrreich. In der Ausbildung hat man uns auch ausdrücklich aufgefordert, aus der Literatur zu lernen. Nicht nur aus Fachbüchern, es gibt doch auch eine ganze Reihe von passenden Romanen hier in unserer Bibliothek. Gerade die neuen Geschichten von Mr. Holmes und Dr. Watson. Bisher nur auf Englisch, aber so sind sie zugleich die beste Sprachübung. Ein doppelter Gewinn.»
«Ja, wahrscheinlich. Ich hatte angenommen, Sie beschäftigen sich nur mit wissenschaftlicher Literatur, zum Beispiel zum Thema Fingerabdrücke.»
«Sie haben auch davon gelesen?» Henningsens Miene wurde eifrig. «Das mit den Fingerabdrücken finde ich tatsächlich besonders bemerkenswert. Geradezu aufregend. Es kann nur eine Frage der Zeit sein, bis alle damit arbeiten. Glauben Sie nicht auch?»
Ekhoff wiegte nichtssagend den Kopf. Er dachte nicht daran, dem Grünschnabel mit womöglich guten Verbindungen nach oben in einer so wichtigen Frage einfach zuzustimmen. Er war der gleichen Meinung, aber solange der neue Polizeirat Fingerabdrücke für unzuverlässig hielt, würde er keine gegenteilige Meinung ausposaunen.
«Man wird sehen», sagte er. «Erst mal bin ich sehr froh, dass wir jetzt eine so großartige fotografische Abteilung haben. Wirklich fortschrittlich. Wir könnten schon morgen 30000 Porträts des Meßberg-Toten haben, genug fürs ganze Deutsche Reich. Wir kommen mit einer kleineren Menge ans Ziel, aber wer hätte an eine solche Möglichkeit noch vor zwei oder drei Jahren geglaubt?»
Da hatte der Junge was, was er weiterflüstern konnte, und es war seine ehrliche Meinung. Ekhoff wusste, wie gefährlich Schmeicheln und Schönreden war, wenn es auf Lügen und Halbwahrheiten beruhte.
«Unser Opfer ist kein Gossenmann, er ist ein Bürger, irgendwer in der Stadt muss ihn vermissen. Und sei es sein Hotelier oder Pensionswirt, dem er noch die Rechnung schuldet. Jemand wird ihn erkennen. Leider», Ekhoffs Seufzer klang nach einem Knurren, «auch viele, die ihn lebend nie gesehen haben und auch sonst nur Lügengeschichten erzählen.»
Henningsen blätterte in seinem Notizbuch, es sah nicht aus, als suche er etwas Konkretes. «Ein Bürger», murmelte er, «ja, so sieht es aus.»
«Drucksen Sie nicht rum, Henningsen. Wer soll Sie verstehen, wenn Sie nicht klar sprechen?»
«Ich meinte nur, es gibt auch erfolgreiche Verbrecher, richtig wohlhabende Männer, die wie ehrbare Bürger aussehen. Gut gekleidet, gepflegt, teure Schuhe. Schuhe sagen immer viel, finde ich.»
«Natürlich gibt es die.» Ekhoffs Finger trommelten einen kurzen, lautlosen Marsch aufs Holz. «Wollen Sie in den Karteikästen im Erkennungsamt stöbern? Da bieten sich zuerst die Karten der internationalen Verbrecher an, das sind nicht so viele.» Ekhoffs strenges Gesicht verzog sich zu einem Grinsen. «Habe ich Sie erschreckt? Keine Sorge, so gemütlich wird es heute nicht. Schütt!! Sie haben schon wieder vergessen zu klopfen.»
Wachtmeister Schütt nickte gleichmütig. Seine spiegelblanke Glatze über dem runden Gesicht mit dem grauen Schnurrbart (wie ihn sein verehrter kaiserlicher Namensvetter Wilhelm II. trug), die blassen kleinen Augen und der in den Uniformkragen gezwängte kurze Hals über dem tonnenartigen Brustkorb und Bauch machten aus ihm die Karikatur eines subalternen Beamten. Nach drei Jahrzehnten als Polizist war er wegen seines Rheumatismus in den Innendienst versetzt worden und schließlich bequem geworden. An manchen Tagen sogar zu bequem, um zu klopfen, bevor er eine Tür öffnete. Regelmäßige Rüffel von Ekhoff waren ihm gewiss. Er schlug dann genussvoll die Hacken zusammen – womöglich wollte er die Aufmerksamkeit auf seine vorbildlich geputzten Stiefel lenken, wahrscheinlicher war, dass er das Geräusch liebte und die Illusion, wie ein zackiger Militär zu wirken.
«Hier ist eine Dame», meldete er nun und verbesserte sich gleich: «eine Frau. Sie will zu Ihnen, Herr Kriminalkommissar, und eine Aussage machen. Über den Toten vom Meßberg, sagt sie.»
«Aussage? Hab ich was von Aussage gesagt?», schimpfte eine kräftige weibliche Stimme hinter Schütts Rücken. «Ich will was fragen und dann vielleicht was melden. Vielleicht! Nun geh beiseite, Schütt, und lass mich durch.»
Zu der Stimme
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