Ein Garten mit Elbblick (German Edition)
Grootmann’sche Haus noch nicht einmal in Planung gewesen war, und irgendwann, dachte er, würde auch von ihm nur totes Holz bleiben. Schönes, gut verwertbares Holz, aber tot.
So blieb von Bäumen dennoch mehr als von Menschen? Von Menschen blieb Tag um Tag blasser werdende Erinnerung. Aus dem Holz eines Baumes konnte etwas Neues entstehen, schön und vor allem nützlich.
Wie weibisch, morbiden Gedanken nachzuhängen. Für Melancholie war in der Familie die nervöse Mary zuständig. Aber natürlich war seine Stimmung dem Abschied von Sophus Mommsen geschuldet.
Seine Schritte beschleunigend, schüttelte er die Gedanken ab und eilte die breite Sandsteintreppe hinauf zum Gartenzimmer, in dem in den Sommermonaten das erste Frühstück serviert wurde.
Die verglaste Flügeltür stand weit offen. Lydia Grootmann hatte seine Schritte auf dem Kies gehört und blickte ihm lächelnd entgegen. Sie sah müde aus, irgendwann in der Nacht hatte er gehört, wie sie die Treppen hinunterging, sehr leise, sicher hatte sie später auch ein Schlafpulver genommen. Sie saß allein am Frühstückstisch, das jüngste der Dienstmädchen, wie stets adrett in schwarzem Rock, weißer Bluse, Schürze und der Winzigkeit einer ebenfalls weißen Haube auf dem streng frisierten Haar, schenkte Tee ein. Darjeeling, da war er sicher. Zum Frühstück nahm sie immer Darjeeling, nur zum Nachmittagstee gerne Earl Grey oder herberen Assam mit Zucker und Sahne. In äußerlichen Dingen war Lydia berechenbar.
«Danke, Reni», sagte sie, «wir bedienen uns selbst. Ich klingele, wenn etwas fehlt.»
Das Mädchen knickste brav und verschwand geräuschlos.
Friedrich küsste seine Frau auf die Wange und ließ den Blick über Schüsseln, Platten und Brotkörbe gleiten. Niemand in der Familie frühstückte üppig, nicht einmal Claire, die über einen ausgezeichneten Appetit verfügte, ohne eine Neigung zur Fettleibigkeit zu zeigen. Gleichwohl wurde an jedem Morgen üppig serviert.
Er setzte sich nicht auf den Platz des Hausherrn an das andere Ende des Tisches, sondern auf den Stuhl zur Rechten seiner Frau. Auch nach dreieinhalb gemeinsamen Jahrzehnten war er ihr gerne nah. Er war nicht immer sicher, ob es ihr mit ihm genauso erging, aber inzwischen fand er es müßig, sich allzu viele Gedanken über seine Ehe zu machen. Es war ohnedies undenkbar, sie in Frage zu stellen.
«Wo sind sie alle?» Er nahm einen Schluck Tee, registrierte zufrieden, dass er sich mit dem Darjeeling nicht geirrt hatte, und zog den Ring von seiner Serviette. «Emma schläft sicher noch, aber Claire, unsere Lerche? Frühstückt sie heute bei Ernst und Mary? Möchtest du Toast?»
Ernst und Mary bewohnten mit ihren Kindern den neuen Seitenflügel der Villa, man aß gleichwohl häufig zusammen, traf sich im Garten oder auf eine Tasse Tee, ein Glas Wein, wie gute vertraute Nachbarn, nur zum großen Familienfrühstück am Sonntag kamen sie immer herüber. Sonst lebten die alten und die jungen Grootmanns jeweils ihr eigenes Familienleben. Das war Lydias Arrangement. In Marys Familie war das nicht üblich, so hatte sie einige Zeit gebraucht zu verstehen, dass diese Art des getrennten Zusammenlebens nicht gegen sie gerichtet, sondern für alle gleichermaßen vorteilhaft war. Das nötige Maß an Rücksicht und Selbstverleugnung reduzierte sich mit der Zahl der Familienmitglieder in denselben Räumen erheblich, und die Erziehung ihrer Kinder blieb in ihrer Hand (abgesehen von Ms. Studley, der neuen Nurse, der es immer wieder gelang, Mary einzuschüchtern). Kurz und gut, das Zusammenleben der Generationen gestaltete sich im Haus der Grootmanns recht angenehm.
«Toast? Vielleicht später, danke. Jetzt möchte ich nur Tee. Sie sind alle schon ausgeflogen. Claire ist im Gemeindehaus von St. Gertrud, es geht um irgendeinen Basar, ich glaube für die Waisenkinder. Emma ist zu einer für ihre Gewohnheiten unfassbar frühen Stunde ausgeritten.»
«Tatsächlich? Vielleicht trifft sie Valentin für einen Morgenritt das Alstertal hinauf, bevor er ins Kontor … ach, wie dumm», er schnalzte missbilligend, «wie überaus dumm. Wann erwarten wir ihn eigentlich zurück? Hat er das schon gekabelt? Wollte er nicht von Buenos Aires aus noch eine Stippvisite in New York machen?»
Lydia schwieg nur einen Moment, doch lange genug, um zu verraten, woran sie bei der Erwähnung der großen Stadt an der amerikanischen Ostküste dachte. Vor allen, an wen. Dann nickte sie, lächelte kühler als beabsichtigt und
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