Ein Garten mit Elbblick (German Edition)
Hüsteln.
«Verzeih, Tante Lydia», Hettys Stimme klang entschlossen, sie sprach, ohne sich nach ihrer Tante umzudrehen, «ich sollte so nicht reden, aber wie sonst? Was war der Grund, Herr Kriminalkommissar?»
«Das wissen wir immer noch nicht, Frau Winfield. In seiner Rocktasche steckte noch Geld, eine ganz ordentliche Summe, das spricht gegen einen Raubüberfall. Seine Kleider und sein Gepäck werden Ihnen gebracht, wir haben damit gewartet, bis Sie wieder, nun, wieder bei Kräften sind. Wir wissen natürlich nicht, was er in seinen Taschen hatte, als er die Pension verließ. Als er gefunden wurde, waren es nur sehr wenige alltägliche Dinge, ich möchte Ihnen nachher einiges zeigen, falls Sie einverstanden sind. Vielleicht haben Sie eine Erklärung, die uns nicht einfällt, weil wir ihn nicht gekannt haben. Wir gehen davon aus, dass jemand einen anderen Grund gehabt hat, ihm nach dem Leben zu trachten.»
«Zufall», warf Emma aus dem Hintergrund ein, sie hatte sich brav neben ihre Mutter auf die Bank gesetzt. Ekhoff spürte beider Gegenwart immer noch in seinem Rücken. «Es kann doch nur ein Zufall gewesen sein. Mr. Winfield hat einen nächtlichen Spaziergang gemacht, vielleicht weil er nicht schlafen konnte, und dann ist er einem Verrückten über den Weg gelaufen. Einem Verrückten auf der Suche nach einem Opfer.»
Ekhoff hätte die eifrigen Worte, die er für Geplapper hielt, gerne ignoriert. Einfach weggewischt. Denn darin immerhin glichen sie einander, wenn es um einen der ihren ging – ob Villenbewohner an der Außenalster oder Tagelöhner in den Gängevierteln. Es sollte immer nur Zufall oder sinnlose Grausamkeit sein. Oder, noch lieber, eine Verwechslung.
«Das glauben Sie aber nicht», stellte Hetty fest. «Kein Zufall. Ich sehe es Ihnen an. Sie werden verstehen, dass wir daran zuerst gedacht haben. Oder an eine Verwechslung? Was sollte es sonst sein?»
Ekhoff überging die Frage. «Stimmt, das glaube ich nicht. Natürlich bedenken wir immer alle Möglichkeiten bei unseren Ermittlungen. Auch Zufall, Verwechslung, schlichte Brutalität. Meistens», fuhr er, auf jedes Wort achtend, fort, «gibt es einen Grund, eine Verbindung. Abgesehen natürlich von den Fällen, wenn jemand Opfer einer Schlägerei wird, womöglich zwischen Betrunkenen.»
«Sie werden nicht behaupten wollen, der Gatte meiner Nichte sei betrunken gewesen», warf Lydia von ihrer Bank scharf ein. «Betrunken, ein Schläger und mit Leuten bekannt, die nachts herumlaufen und mit Messern – hantieren.»
«Danke, Tante Lydia», Hettys Blick bekam etwas Ungeduldiges, «ich weiß deine Unterstützung zu schätzen. Aber ich muss alles hören und alles in Erwägung ziehen. Einen anderen Weg gibt es nicht. Ich muss wissen, was in dieser Nacht geschehen ist. Und in den Wochen davor. Und warum es geschehen ist. Das ganz besonders. Nicht zu wissen, was war, ist noch schlimmer, in meinem Kopf drängen sich nur wirre Bilder.»
Sie setzte sich aufrechter und wandte sich den beiden Damen Grootmann zu. Sie meinten es freundlich, aber diese Bewachung aus dem Hintergrund war eher beunruhigend als hilfreich.
«Ich glaube, eine Tasse Tee würde jetzt helfen, Tante Lydia», sagte sie. «Wäre das möglich?» Tee, das beste aller Allheilmittel, wirkte oft schon, bevor man ihn getrunken hatte, nur weil ihn jemand in der Küche bestellen oder holen musste. «Und eine Zitronenlimonade? Für Sie auch, Herr Ekhoff? Der Weg hat Sie sicher durstig gemacht.»
Emma eilte schon über den Rasen zur Terrassentür. Sie hätte lieber geklingelt, aber kein Glöckchen war hell genug, eines der Mädchen bis in den Garten zu rufen. Sie beeilte sich, sie wollte nichts verpassen. Bisher hatte sie Hetty für eine liebe harmlose Gans gehalten. Gut möglich, dass sie darin irrte.
«Danke, Frau Winfield», Ekhoffs Stimme begann, das Steife zu verlieren. «Ein Glas Limonade wäre sehr gut. Möchten Sie warten, bis …»
«Nein. Ich möchte nicht auf den Tee warten. Ich werde auch nicht in Ohnmacht fallen.» Sie lächelte, und für einen Moment glaubte er, etwas Verschwörerisches sei in ihren Augen, sie habe sich erinnert und ihn erkannt. «Nun fragen Sie.»
«Gut. Wissen Sie, ob er mit jemand im Streit lag oder ob jemand Grund hatte, ihn zu hassen? Ob in England oder hier in Hamburg? Oder in einer anderen Stadt? Er ist offenbar über Belgien hergekommen. Oder war er vielleicht jemandem im Weg? Könnte er, nun, bei irgendwelchen Transaktionen gestört haben?»
Diesmal
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