Ein Garten mit Elbblick (German Edition)
willkommen war, selbst von einer Kleinbürgerin.
Lydia hatte vermieden, darüber nachzudenken, was sie ausgerechnet nach Manchester verschlagen und woher sie die nötigen Sprachkenntnisse haben mochte. Über die Quelle der nötigen Mittel nachzudenken war müßig. Das verstand sich von selbst und fand Lydias Billigung. Dienstleistungen sollten immer bezahlt werden. Unter Friedrichs Freunden und Geschäftspartnern gab es auf beiden Seiten des Ärmelkanals etliche mit guten Verbindungen in die englischen Industriebezirke, auch Felix hatte seinem Bruder in dieser delikaten Angelegenheit gewiss beigestanden. Er war ein Meister, wenn es um sensibel zu handhabende Arrangements ging.
«Henrietta, du hast Besuch.» Sie kehrte in die Gegenwart zurück. «Ich finde, es ist zu früh. Jede Aufregung kann dir noch schaden. Aber dein Onkel ist anderer Ansicht. Er schickt uns Kriminalkommissar Ekhoff, du erinnerst dich? Er hatte dir die schreckliche Nachricht gebracht, nun will er dir Fragen stellen. Zu Thomas. Ich erlaube es nicht, wenn du dich zu matt fühlst. Dann wird der Herr Kriminalkommissar sich noch einige Tage gedulden.»
«Danke, Tante Lydia, das ist nicht nötig. Es geht mir gut, und wenn der Kommissar gekommen ist», sie setzte sich aufrechter und spürte, wie ihr Mund trocken wurde, «wenn er hier ist, habe ich auch Fragen an ihn.»
«Bist du sicher? Es ist nicht leicht, über, ja, darüber zu sprechen.» Lydia Grootmann blickte wieder kühl, dennoch besorgt auf ihre Nichte hinunter, die sich in einem der bequemen Gartenkorbstühle von ihrem ersten Spaziergang ausruhte. Es geschah selten, dass Lydia Grootmann nach dem richtigen Wort suchen musste.
Henrietta schüttelte den Kopf und schlug die leichte Decke zurück, die Claire ihr trotz der Wärme des Tages fürsorglich über die Beine gelegt hatte.
«Nein», beharrte sie, «ich möchte mit ihm sprechen.» Sie sah zu dem Mann auf, der nun zwei Schritte hinter Lydia Grootmann wartete, und versuchte ein Lächeln. Sein Gesicht war ihr vertraut. An jenem Tag im Garten über der Elbe war es ihr kummervoll erschienen, nun las sie nichts darin.
«Sehr vernünftig, Hetty», fand Emma. «Aber bleib hübsch in deinem Lehnstuhl sitzen, dann muss der Herr Kriminalkommissar nicht fürchten, dass du wieder auf dem Rasen landest.»
«Sicher möchtest du bei diesem Gespräch mit Herrn Ekhoff ungestört sein, Henrietta.» Lydia Grootmann hatte beschlossen, die Anweisung ihres Mannes und ihres Sohnes, die arme Hetty keinesfalls mit dem Polizisten allein zu lassen, man habe ja erlebt, dass ihm jedes Feingefühl fehle, nach eigenem Gutdünken zu handhaben. «Wir sind ganz in der Nähe. Wenn du Beistand brauchst, reicht ein Wort.»
Sie zog die widerstrebende Emma mit sich zu der Bank unter dem Rosenbogen beim Rondell, in Hettys Rücken für sie unsichtbar, aber nah genug, jedes in der üblichen Lautstärke gesprochene Wort zu verstehen.
«Setzen Sie sich», Hetty zeigte auf den Stuhl neben ihrem, «und fangen wir gleich an. Allerdings weiß ich nicht, wie ich helfen kann.» Ihre Stimme klang ein wenig atemlos. «Ich habe keine Erklärungen, falls Sie welche erwarten. Ich verstehe das alles nicht.»
So etwas hatte Ekhoff befürchtet, andererseits hörte er solche Sätze häufig, ohne dass sie etwas zu bedeuten hatten. Für gewöhnlich wussten die Menschen, ob Zeuge, Opfer, Freund, Feind oder Familienmitglied, mehr, als sie zunächst dachten. Er setzte sich, entschied, die Blicke der beiden Damen in seinem Rücken zu ignorieren, und sah die junge Witwe aufmerksam an.
«Ich bedauere, dass ich Sie im Haus Ihres Vaters so erschreckt habe. Ich hätte behutsamer sein müssen. Es tut mir leid.»
«Es war einfach ein sehr schlimmer Tag. Wenn wir jetzt bitte anfangen könnten? Es wäre mir lieb gewesen, wenn ich während der vergangenen beiden Wochen tatsächlich nur geschlafen hätte. Aber es gab immer wieder Stunden, in denen ich wach genug war, um nachzudenken. Mir ist nichts eingefallen, das ich Ihnen sagen könnte. Gar nichts. Da sind nur immer mehr Fragen durch meinen Kopf geschwirrt. Ich habe verstanden, dass Thomas – nun, dass es kein Unfall war. Jemand hat meinen Mann absichtlich getötet. Um ihn auszurauben? Ging es nur um Geld? Um seine Uhr? War das der Grund? Wieso war er allein auf diesem Platz, mitten in der Nacht? Da treibt sich um diese Stunde sicher nur Gesindel herum. Kannte er etwa solche Leute?»
Ein Hüsteln begleitete ihre Frage. Ein sehr damenhaftes
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