Ein Gebet für die Verdammten
Zölibat hast du tausendmal gehört. Die Vorurteile dieses Eiferers dürfen euch nicht den morgigen Tag verderben. In die Luft geredete Worte verweht der Wind.«
»Die Zunge hat keinen Knochen, und doch hat sie oft einem Menschen den Kopf zerschlagen«, erwiderte Fidelma mit einem alten Sprichwort.
Abt Laisran lächelte grimmig und schüttelte den Kopf. »Wenn sich Ultán erhebt und loslegt, weiß doch jeder, was er von ihm zu halten hat. Ein Mann wie der kann einem nur leid tun. Der ist so unglücklich, daß er unter dem Zwang steht, andere in seine trostlose Welt hineinzerren zu müssen.«
»Ich möchte mit dir noch über etwas anderes reden«, sagte Fidelma. »Ich habe schon oft darüber nachgedacht.« Sie machte eine kleine Pause, und Abt Laisran wartete nachsichtig darauf, daß sie fortfuhr. »Du weißt, als ich meine Ausbildung bei Brehon Morann abgeschlossen hatte, folgte ich deinem Rat, mich ins Kloster zu begeben. Erinnerst du dich noch, weshalb du mir diesen Rat gabst?«
Abt Laisran nickte nachdenklich. »Du wolltest von deiner Familie unabhängig sein. Unabhängig, um bei Gericht wirken zu können. Heutzutage haben die Vertreter gelehrter Berufe ihre Heimstatt in den Abteien und den Klosterschulen, und das ist im ganzen Land so. In früheren Zeiten waren es die Druiden und ihre Priesterschulen, die Rechtsprechung, Heilkunst und Himmelskunde ausübten. Ich riet dir, ins Kloster zu gehen, weil es dir Sicherheit bieten und dir ermöglichen würde, im Rechtswesen tätig zu sein. Und das hat sich als richtig erwiesen.«
»Eins verstehe ich nicht«, meinte Eadulf und beugte sich vor. »Warum hätte es Fidelma an Sicherheit ermangelt, wenn sie nicht in ein Kloster eingetreten wäre? Schließlich ist sie die Tochter eines Königs und die Schwester eines Königs.«
»Sie wäre immer auf den Status ihrer Familie angewiesen gewesen, und wie ich es damals verstand, wollte Fidelma sich nur auf ihr eigenes Talent stützen«, erläuterte Abt Laisran. »War es nicht so?«
Das bestätigte Fidelma mit einem kurzen Kopfnicken. »Der Eintritt ins Kloster war für mich nur der nötige Umweg, um eine Laufbahn in der Rechtsprechung einzuschlagen. Daß ich eine Verkünderin des Glaubens sein wollte, kann ich nicht behaupten.«
»Und was bekümmert dich nun so sehr?«
»Der Widerspruch zwischen meinem leidenschaftlichen Einsatz für das Rechtswesen und dem, was viele als unzureichenden Einsatz im Dienst in der klösterlichen Gemeinschaft ansehen. Das ist mir eben erst wieder schmerzlich bewußt geworden, als Brehon Baithen vorschlug, um Ultáns Proteste einfach zu umgehen, sollte ich mein Gelübde, dem Glauben zu dienen, widerrufen.«
Abt Laisrans Augen weiteten sich vor Entsetzen. »Das würde bedeuten, daß auch Eadulf sein Gelübde widerrufen müßte. Wollt ihr das beide?«
Eadulf griff ein. »Wir haben lange darüber gesprochen. Wir meinen …«
»Würdest du mir raten, mich gänzlich von der Klostergemeinschaft loszusagen?« unterbrach ihn Fidelma.
»Sich lossagen?« wiederholte der Abt, als hätte er nicht recht gehört.
»Aus dem Kloster ausscheiden«, machte Fidelma deutlich. »Mein Beruf ist Recht und Gesetz, nicht die Verbreitung desGlaubens. Es gibt viele andere, die bessere Missionare sind als ich. Mir fehlt die innere Berufung dazu, würdest du sagen.«
Der Abt schaute Eadulf an. »Und was sagst du dazu,
Bruder
Eadulf?«
»Es ist eine Wahl, die vor allem Fidelma treffen muß. Ich bin zufrieden mit den Dingen, wie sie gegenwärtig sind. Wir wissen von vielen Glaubensbrüdern, die so leben wie wir und die man zu derartigen Entscheidungen zwingt. Auch zahlreiche Äbte gibt es und sogar nicht wenige Bischöfe, die heiraten und ihre Kinder aufziehen und ihren Interessen auf Gebieten nachgehen, in denen sich die Frage, ob sie ihr Kirchenamt aufgeben müßten, niemals erhebt.«
»So und nicht anders denke ich auch, Laisran«, fügte Fidelma hinzu. »Und nicht erst seit heute abend, als Brehon Baithen den Vorschlag machte.«
»Was hast du ihm geantwortet?«
»Es wäre falsch, sich von den Glaubensschwestern zu trennen, nur um Abt Ultán zu besänftigen. Wenn es mein Wunsch wäre und ebenso der von Eadulf, dann wäre das etwas anderes.«
Abt Laisran schürzte die Lippen, und über sein engelhaftes Gesicht glitt ein Schatten.
»Wir müssen alle dem uns vorgezeichneten Pfad folgen. Ich sehe keine Notwendigkeit für dich, einen solchen endgültigen Schritt zu tun. Deine gegenwärtige Stellung ist ohnehin mehr
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