Ein Gebet für die Verdammten
ist mein Hochzeitstag«, war alles, was sie sagte. Abt Ultáns Tod bekümmerte sie nicht weiter. Sie war ihm nie begegnet, und nach dem, was sie über ihn gehört hatte, betrübte sie sein Ableben nicht sonderlich. Sie dachte nur an die rechtlichen Fragen, die sein Tod aufwarf, und daran, daß nun alles durcheinandergeriet, was für die Festtage vorgesehen war.
Colgú gestikulierte mit geöffneten Händen, wie um Vergebung bittend. »Falls der Mordfall nicht geklärt wird, bevor die Feierlichkeiten beginnen, werden unsere hochmögenden Gäste verärgert und voll böser Mutmaßungen abreisen. Selbst ein Krieg zwischen den Königreichen wäre nicht ausgeschlossen, denn viele werden sich fragen, warum wurde Ultán gerade in Cashel ermordet. Wieso hat ihm sein Gastgeber keinen Schutz gewährt?«
Richter Baithen ergänzte beklommen: »Caol hat eingestanden, daß Abt Ultán bei seiner Ankunft vor Zeugen verlangt hat, vor seiner Kammertür müßte ein Krieger postiert werden. Der Forderung ist man aber nicht nachgekommen.«
Das überraschte Fidelma. »Kann ich mir schwerlich vorstellen. Auf Caol haben wir uns doch immer verlassen können.«
»Allem Anschein nach hat er Dego beauftragt, sich darum zu kümmern, da aber so viele Lords und Fürsten eintrafen und in der Burg unterzubringen waren, wurde Dego anderweitig benötigt. Außerdem hatten sich zu der Zeit nur wenige Gäste bereits zur Ruhe begeben. Ein Grund, weshalb wir es unternommen hatten, Abt Ultán noch so spät aufzusuchen. Ich habe Caol versichert, daß man ihm keine Schuld anlasten kann«, erklärte ihr der Richter.
Colgú war zerknirscht und äußerte weiter seine Befürchtungen. »Daß ihm keine Bewachung gestellt wurde, wird man mir vorwerfen. Jede Menge Fragen werden hochkommen. Zum Beispiel, ob wir ihm feindselig gesonnen waren wegen meines Hauptbischofs, Abt Ségdae von Imleach. Man wird die alte Geschichte aufwärmen, daß es zum Streit kam, als er Ultáns Forderung zurückwies, Ard Macha als zukünftigen Sitz eines Erzbischofs anzuerkennen. Gab es gar einKomplott, um Ultán mundtot zu machen, weil man wußte, er würde Einspruch gegen die Heirat meiner Schwester erheben?«
»Das ist doch alles Unsinn!« brauste Fidelma auf.
»Du magst ja recht haben«, stimmte ihr Colgú zu, »aber werden die Leute in den Königreichen im Norden das auch so sehen?«
Fidelma senkte den Kopf und überdachte die möglichen Folgen. Colgús seelische Nöte waren zu verstehen. Nach den Gesetzen der Gastfreundschaft war es seine Pflicht, den Schuldigen zu finden. Alle Gäste, die nach Cashel kamen, Abt Ultán eingeschlossen, standen unter dem Schutz des Königs. Der Tod eines Gastes wurde wie ein schweres Vergehen geahndet, wie ein
díguin,
die Verletzung der Schutzpflicht. Wurde die Tat nicht aufgeklärt und der Schuldige nicht gefunden, dann konnte Colgú seine Ehre verlieren, als König abgewählt und gezwungen werden, Sühnegeld und eine angemessene Entschädigung zu zahlen. Wiedergutmachung mußte unabdingbar geleistet werden. Fidelma machte sich klar, daß die Eoganacht, ja sogar ganz Cashel, dann als
mallachtach
gelten würden, daß heißt mit einem Fluch belegt werden konnten. Colgú durfte in dieser Sache nicht der geringste Vorwurf treffen, dafür war Sorge zu tragen.
»Muirchertach hat also verlangt, daß ich ihm als Anwalt beistehe?« fragte sie schließlich und klang dabei ziemlich bedrückt. »Wo hält er sich jetzt auf?«
»Als König hat er gewisse Rechte. Er kann sich in Cashel frei bewegen bis zum Tag der Gerichtsverhandlung. Er hat sein Wort gegeben« – Colgú benutzte den Ausdruck
gell,
womit das Ehrenwort bezeichnet wurde, das adlige Kriegsgefangene oder Geiseln geben –, »daß er nicht abreisen wird, bevor man ihn vor Gericht entlastet, wie er sagt. Ich fürchte,wir können seine Forderung nicht ablehnen, seine Verteidigung zu übernehmen.«
Ein Lächeln huschte über Fidelmas Gesicht beim Versuch ihres Bruders, sich gemeinsam der Verantwortung zu stellen, indem er sich der Pluralform bediente. »Ich verstehe schon. Wer wird die Sitzung leiten und das Urteil sprechen, wenn die Verhandlung anberaumt ist?«
»Wer sonst als Barrán, der Oberste Brehon der fünf Königreiche? Ich habe ihn gebeten, uns aufzusuchen; es ist wahrlich ein glücklicher Umstand, daß er mit dem Hochkönig hier ist, denn gegen seine Entscheidungen wird keiner der Könige oder Fürsten aus dem Norden Einwände erheben können.«
Fidelma nickte kurz. »Ich soll also den
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