Ein Gebet für die Verdammten
nun muß dem Gesetz Genüge getan werden.«
Abt Augaire verzog das Gesicht zu einer Grimasse. »Die Ironie der Geschichte ist doch, daß Ultán, solange er lebte, sich für seine Person geweigert hat, dem Gesetz zu folgen. Und nun, da er tot ist, sollen andere nach dem Gesetz zur Rechenschaft gezogen werden, das er mißachtete.«
Fidelma sah dem Mann in die Augen. »Ich möchte, daß du mir erzählst, was du von Ultán weißt und wie du dazu gekommen bist, dir eine solche Meinung über ihn zu bilden.«
»Da gibt es nicht viel zu erzählen. Aber bevor ich was sage, muß ich folgendes klarstellen: Wenn Anklage gegen Muirchertach Nár erhoben wird, möchte ich nicht, daß meine Worte benutzt werden, um ihn zu verurteilen. Wenn du Beweismaterial gegen ihn sammelst …«
Das verneinte Fidelma energisch. »Muirchertach Nár hat mich gebeten, seine Verteidigung zu übernehmen. Er behauptet,daß er unschuldig ist. Die Anklage wird Brehon Ninnid erheben.«
Die Auskunft beruhigte Abt Augaire, und er lächelte zuversichtlich. »Dann will ich dir unumwunden sagen, was ich über Muirchertachs Verhältnis zu Ultán weiß. Ich hatte es übernommen, als Muirchertachs Vertreter Sühnegeld von Ultán zu fordern für den Tod der Schwester von Muirchertachs Ehefrau. Das war der Beginn der Feindseligkeit zwischen uns.«
»Du sollst auch ein mehr persönliches Interesse an der Sache gehabt haben.«
»Wieso ›persönlich‹?« brauste der Abt auf.
»Du hast gesehen, wie das Mädchen Selbstmord beging.«
»Das will ich nicht leugnen.«
»Erzähle, wie es dazu kam.«
Abt Augaire setzte sich bequemer zurecht. »Das ist schon drei oder vier Jahre her. Ich lebte damals in einer Gemeinschaft an der Südküste von Connacht, nicht weit von Muirchertachs Festung Durlas. An einer schmalen Landzunge hatte ich meine Angeln ausgeworfen, als das Mädchen daherkam. Erst als sie sich von den Klippen zu Tode gestürzt hatte, wurde ich ihrer wieder gewahr. Sie war eine wunderschöne junge Frau. Ich vermochte mir nicht vorzustellen, warum jemand, der so schön, so jugendfrisch, so lebendig gewesen war und noch ein ganzes Leben vor sich hatte, zu solch einer schlimmen Tat getrieben werden konnte.«
»Wer sie war, hast du nicht gewußt?« fragte Eadulf.
»Nein, anfänglich nicht. Ich fragte überall herum und geriet schließlich an die Festung unseres Königs bei Durlas. Ich erfuhr, daß das Mädchen Searc hieß und daß sie die jüngere Schwester Aíbnats war, der Gattin des Königs. Immer wieder mußte ich an jenen Tag und die ätherische Schöne aufdem rauhen Küstenvorland denken. Ihr Bild hat mich nie losgelassen, die Jugend, die Schönheit, die Fraulichkeit, die sich in ihr verkörperten. Vielleicht könnt ihr das verstehen. Diesem Bild vor meinem inneren Auge gelobte ich zu dienen; Aíbnat und Muirchertach schwor ich, den Grund für ihren Tod zu entdecken und die dafür Verantwortlichen zu bestrafen.«
Fidelma merkte, daß ihm die Augen feucht wurden. »Die ses Mädchen und ihr Tod scheinen dich im Innersten bewegt zu haben.«
Der Abt nahm sich zusammen. »Ihr Bildnis tut das immer noch. So manche Nacht kann ich nicht schlafen, die Ereignisse von jenem Tag gehen mir durch den Kopf, und ich sage mir immer wieder ›hätte ich doch nur‹. Wäre ich nur nicht so blind gewesen, nicht zu sehen, welche Tragödie sich vollzog. Ach … hätte ich doch nur. Ja, so geht das.
Sic erat in fatis,
um wieder mit Juvenal zu sprechen.«
»So wollte es das Geschick«, übersetzte Eadulf. »Du machst dir Vorwürfe, ihren Tod nicht verhindert zu haben, und deshalb hast du all die Mühe auf dich genommen. Wußte man damals schon von ihrer Liebe zu dem Novizen von Cill Ria?«
»Ja, das war bekannt. Sie war eine Dichterin. Ich erfuhr es von einem, der die Zusammenkunft in Ard Macha miterlebt hatte. Und danach begann ich Nachforschungen nach dem jungen Mann anzustellen, Senach hieß er, in den sie sich verliebt hatte. Ich fand die Spur, die nach Cill Ria führte, und ich bekam heraus, was ihm zugestoßen war.«
Eadulf nickte anerkennend. »Du würdest einen tüchtigen Ermittler abgeben, Augaire. Demnach hast du also die näheren Umstände herausgefunden. Searc hatte ihrer Schwester nichts davon erzählt, und auch nicht Muirchertach?«
»Offenbar nicht.«
»Nachdem du das alles in Erfahrung gebracht hattest, was geschah dann?« fragte Fidelma.
»Ich schwor denen Rache, die der jungen Frau verwehrt hatten, ihr Glück zu finden, und die sie in ihrem Kummer
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