Ein gefährlicher Gentleman
sondern sich auf das Gespräch zu konzentrieren. Es war das erste Mal, dass sie das Haus ihrer Schwester betrat.
»Deine Mutter wird nicht begeistert sein, wenn sie von deinem kleinen Besuch hier erfährt.«
Elizabeth musste Regina insgeheim recht geben. »Ich weiß nicht, wieso. Luke besucht dich auch.«
»Luke ist der Viscount und kann tun und lassen, was er will.« Heute trug Regina ein elegantes, dunkelgrünes Kleid, das mit schwarzen Bändern verziert war. Das dichte Haar fiel offen über ihre Schultern. Ihre nackten Füße bildeten einen überraschenden Gegensatz zu ihrem modischen Auftreten. Sie sah wunderschön aus, und die für sie typische, unkonventionelle Art passte zu ihr.
»Du bist meine Schwester«, meinte Elizabeth.
»Deine illegitime Halbschwester, die aus einer Affäre unseres Vaters stammt, ehe er deine Mutter heiratete.« In Reginas Stimme schwang kein Groll mit. »Deine Mutter und ich behandeln einander mit ausgesuchter Höflichkeit. Vielleicht mögen wir einander sogar, aber sie akzeptiert mich nicht als vollwertiges Familienmitglied. Dafür gibt es verschiedene Gründe, und die Umstände meiner Geburt sind noch der geringste.«
»Das ist ihr Problem, nicht meins. Ich bin hier, um deinen Rat einzuholen.«
Bei dieser Bemerkung wirkte ihre ältere Schwester amüsiert. Sie barg die zarte Porzellantasse in der Handfläche und lehnte sich entspannt im Sessel zurück. Ihr Fuß wippte. »Ich verstehe. Und was glauben Luke und deine Mutter, wo du gerade bist?«
»Meine Mutter war unterwegs, als ich mich auf den Weg machte, weshalb sie es nicht einmal weiß«, murmelte Elizabeth. »Ich denke, dafür sollte ich dankbar sein.«
Regina lachte. An ihrer Stelle hätte Elizabeth vermutlich auch gelacht. Dann meinte ihre Schwester gelassen: »Ich glaube, du nimmst in seiner Gedankenwelt im Moment nicht gerade eine herausragende Stellung ein. Er hat sich in Lady Brewer verliebt, und für ihn ist es sehr schwierig, diese Gefühle mit seiner Vergangenheit in Einklang zu bringen.«
Luke war verliebt? Es stimmte, in letzter Zeit war er sehr abgelenkt gewesen, aber … Liebe?
» Welche Vergangenheit?« Elizabeth hätte vielleicht nicht gefragt, wenn sie sich in Reginas Gegenwart nicht so wohl fühlen würde. Sie strahlte etwas aus, das Vertrauen schaffte. Vielleicht war es ihre ganze Art und dass sie sich noch nie etwas aus Anstandsregeln gemacht hatte. Natürlich war ihr dank ihrer unehelichen Geburt ein Eintritt in die Gesellschaft, wie er Elizabeth geboten worden war, verwehrt. Was Regina aber recht gut zu passen schien. Elizabeth hatte nie gewusst, was sie angesichts ihrer außerehelich geborenen Schwester fühlen oder denken sollte. Es bedeutete, dass ihr geliebter Vater einst eine Mätresse gehabt hatte, und obwohl er ihrer Mutter damals noch nicht begegnet war, bereitete ihr die Vorstellung Unbehagen. Schließlich verriet die Existenz ihrer Halbschwester ihr etwas darüber, wie er als junger Mann war, denn Regina war fast zwei Jahrzehnte älter als sie.
»Ich kenne die genauen Umstände nicht, und ich werde mich hüten, ihn danach zu fragen. Aber es hängt mit dem Krieg zusammen. Und mit einer Frau.« Regina blickte nachdenklich in ihre Teetasse, ehe sie leise hinzufügte: »Er hat sie geliebt, und sie ist gestorben.«
Diese Eröffnung entsetzte Elizabeth unerklärlicherweise. Luke schien immer so gefasst zu sein, so unverletzlich. »Woher weißt du das? Mir hat er davon nie was erzählt.«
»Natürlich nicht. Liz, mir hat er auch nichts erzählt. Und das wird er vermutlich auch nie tun. Warum soll er den Schmerz wieder heraufbeschwören, wenn es Mittel und Wege gibt, ihn zu meiden? Außerdem ist es egal, denn dieser Schmerz ist sein ständiger Gefährte. Er trägt ihn mit sich herum, und jetzt muss er in Bezug auf Lady Brewer eine Entscheidung fällen, weshalb die Erinnerung ständig wach ist. Aber wenigstens hat er in letzter Zeit besser geschlafen.«
»Ich wusste auch nicht, dass er schlecht schläft«, murmelte Elizabeth. Sie strich eine Strähne aus dem Gesicht, die sich aus ihrem Knoten gelöst hatte. »Ich bin offensichtlich keine aufmerksame Beobachterin. Woher weißt du davon? Du lebst doch hier.«
»Darum weiß ich es. Er ist in letzter Zeit nicht mehr hergekommen, um mich mitten in der Nacht zu besuchen.«
Es gab keinen Grund, sich deshalb betrogen zu fühlen. Schließlich war Elizabeth jünger, sie war nicht seine Vertraute. Dennoch war ein Teil von ihr eifersüchtig auf die
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