Ein gefährlicher Gentleman
Stellung, die Regina genoss. »Luke erzählt mir nie etwas«, gab Elizabeth widerstrebend zu. »Aber ich vermute, das ist keine Entschuldigung, warum ich nicht hartnäckiger versuche, sein distanziertes Verhalten zu verstehen. Ich habe ihn gefragt, doch er hat das Thema gewechselt.«
»Du bist erst neunzehn. Wenn man neunzehn ist, ist es noch erlaubt, von sich selbst eingenommen zu sein.« Reginas Lächeln strahlte die ihr eigene Ruhe aus. »Ich vermute, das ist der Grund, warum du bisher nicht bemerkt hast, dass Miles in dich verliebt ist.« Sie runzelte die Stirn. »Eigentlich ist es nicht fair von mir, wenn ich so über ihn rede. Es dauert inzwischen viel zu lange, um nur eine rein erotische Faszination zu sein.«
»Ist das so?« Sie war hergekommen, um über Miles zu reden, aber es überraschte sie schon, dass Regina von selbst auf das Thema zu sprechen kam.
»Denk doch mal nach. Du hast ihn schon immer in die Tasche gesteckt, oder?«
»Wir sind gemeinsam aufgewachsen«, erwiderte Elizabeth treuherzig. »Er ist ein paar Jahre älter, weshalb er natürlich auf mich aufgepasst hat.«
»Sicher. Damals, als ihr jünger wart. Jetzt allerdings würde ich behaupten, dass er dich mit anderen Augen sieht.«
Wenn sie nicht glaubte, darin könne mehr als nur ein Körnchen Wahrheit liegen, würde Elizabeth jetzt nicht im wild und wahllos eingerichteten Salon ihrer Schwester sitzen. Sie stand unwillkürlich auf und ging zu einer Zeichnung, die sie blind anstarrte. Das Bild zeigte ausgerechnet einen indischen Elefanten, mit langem Rüssel und Stoßzähnen. Es war eine wirklich beeindruckende Arbeit. Leise gestand sie: »Er hat mich geküsst.«
»Alle Achtung! Wie hat es sich angefühlt?«
Als sie sich umdrehte, stieg Röte in Elizabeths Gesicht. »Wie soll ich denn wissen, wie es war? Ich wurde noch nie geküsst.«
»Ich weiß nicht, ob vorherige Erfahrungen zwingend nötig sind, um zu wissen, ob ein Kuss einem den Atem raubt oder nicht.«
Regina hatte bestimmt auch den einen oder anderen Mann für sich gewonnen mit ihrem üppigen dunklen Haar und der sinnlichen Figur. Es hatte Elizabeth schon immer interessiert, warum ihre Halbschwester nie geheiratet hatte. Ob legitim oder nicht, als Tochter eines Viscounts war sie eine gute Partie.
»Ich war vielleicht ein bisschen atemlos«, gab sie zu. »Aber es hat nicht gerade geholfen, dass Luke uns beobachtet hat und nach draußen kam. Er hat mir befohlen, ins Haus zu gehen. Ich habe keine Ahnung, was er daraufhin zu Miles gesagt hat. Aber seitdem hält Miles sich von mir fern.«
»Und du vermisst ihn.« Es war keine Frage.
Vermisste sie ihn? Oh ja … Sie nickte. »Naja, also … Was soll ich jetzt machen?«
»Du glaubst also, ich bin nicht bloß älter, sondern auch klüger als du.« Reginas Stirn legte sich in Falten. »Ich weiß, das eine bin ich, aber beim anderen bin ich nicht so sicher. Jedenfalls nicht, wenn es um Männer geht. Ich kann dir jedoch meine Meinung sagen, wenn du sie hören willst.«
»Darum bin ich hier.«
»Es kommt darauf an, was du willst, Liz. Was ist dir am wichtigsten? Ein Titel? Geld? Deine gesellschaftliche Stellung?«
»Nichts von alledem.« Sie sagte es fest entschlossen. Es war die Wahrheit.
»Glaubst du tief in deinem Herzen, dass Miles dich glücklich machen kann? Er schien für dich der richtige Gefährte zu sein, als ihr noch Kinder wart. Niemand konnte euch trennen. Freundschaften wie diese unterscheiden sich von einer Romanze. Aber wenn es euch gelingt, beides zu vereinen … Ich glaube, das könnte wirklich wunderbar sein.«
Wunderbar. Sie konnte sich noch immer an das federleichte Gefühl seiner Lippen auf ihren erinnern. An seine warmen Hände, die von ihrem Körper Besitz ergriffen.
»Das könnte sein.« Ihre Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. »Aber du hast mir noch immer nicht gesagt, was ich tun soll. Ich … Also, ich habe keine Ahnung, wie ich an die Sache herangehen soll.«
»Liebes«, seufzte Regina. »Du kennst ihn besser als jeder Andere. Wie ich die Sache einschätze, wirst du nur wenig Überzeugungsarbeit leisten müssen. Wenn Miles weiß, dass du seinem Antrag wohlwollend gegenüberstehst, wird er dir seine leidenschaftliche Hingabe bestimmt erklären.«
»Er gibt sich doch wohl kaum leidenschaftlich hin.«
Oder doch? Elizabeth wusste, sie würde diesen schmerzlichen Blick nie vergessen, als sie sich voneinander lösten.
»Es gibt nur eine Möglichkeit, das herauszufinden«, sagte Regina überzeugt.
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