Ein gefährlicher Gentleman
derzeit nicht unbedingt einem im konservativen Sinne akzeptablen Weg«, murmelte Madeline. Sie meinte jedes Wort ernst. »Ich bin wohl kaum in der Position, auf andere herabzublicken. Aber wenn ich es richtig verstehe, hat Luke Euch nicht hergeschickt.«
»Natürlich nicht! Gut möglich, dass er wütend wird, wenn er davon erfährt.« Regina lehnte sich entspannt zurück und schmunzelte. Der herzliche Ausdruck schmeichelte ihren Gesichtszügen und verlieh ihr einen unbezwingbaren Charme. »Er hasst es zwar, wenn man sich in sein Leben einmischt, aber seine Wut verraucht zum Glück immer ziemlich schnell. Habt Ihr das schon gewusst?«
Es war unmöglich, nicht zu lachen. »Nein. Was weiß ich außerdem nicht über ihn?«
»Eine Menge, würde ich vermuten. Mein Bruder hat einige Geheimnisse. Aber ich bezweifle, dass Ihr das nicht längst erraten habt.«
»Er offenbart nur das, was er wirklich preisgeben will. Und ich gebe zu, das ist nicht besonders viel.«
»Stimmt.« Regina maß sie mit einem prüfenden Blick. »Ich denke, wir werden gut miteinander zurechtkommen. Sagt mir, seid Ihr in ihn verliebt?«
Jetzt war sie wirklich sprachlos. Es war eine zutiefst persönliche Frage, die von einer Person kam, die sie kaum kannte. Sie wusste nicht einmal, ob sie ihrer Mutter antworten würde, wenn sie ihr diese Frage stellte. Madeline saß hilflos und stumm da.
»Das müsst Ihr wohl sein«, bemerkte Regina Daudet gelassen. »Ich habe darüber nachgedacht. Euer Verhalten ist für Euch ebenso untypisch wie für ihn, weshalb Ihr einen guten Grund haben müsst, Euren Ruf aufs Spiel zu setzen. Oh, die Gesellschaft wird Euch höchstwahrscheinlich nicht ächten. Ihr seid schließlich eine Witwe. Trotzdem habt Ihr Euch lange Zeit einen tadellosen Ruf bewahrt. Luke ist anders, und er ist es durchaus wert, für ihn ein Risiko einzugehen.«
»Ich habe es ihm nicht gesagt.« Die Worte klangen in ihren Ohren gespreizt. Dennoch waren sie ein Eingeständnis.
Sie war nicht sicher, warum sie Regina vertraute. Aber es war … befreiend, darüber zu sprechen.
»Nicht?« Regina hob eine Augenbraue. »Dennoch tut Ihr ihm gut. Irgendwann bringt es ihn dazu, sich einzugestehen, dass Ihr nicht bloß eine seiner zahllosen Liebschaften seid. Das wird schwer für ihn, ich weiß. Aber Ihr müsst ihm mehr bedeuten. Seine Albträume sind nicht mehr so schlimm. Zumindest hat er mich nicht mehr in den frühen Morgenstunden aufgesucht, seit er Euch kennt.«
»Er hat Schlafprobleme?« Es stimmte, Madeline war immer vor ihm eingeschlafen. Sogar als sie im Gasthaus übernachtet hatten. Von Schlafproblemen hatte sie nichts gewusst, und das störte sie, denn sie wollte alles über ihn wissen. Mit gerunzelter Stirn versuchte sie, sich an die gemeinsam verbrachten Nächte zu erinnern. Es gab zwar nicht allzu viele, aber erst jetzt merkte sie, dass sie ihn noch nie schlafend gesehen hatte.
Seine Schwester nickte. Ihre grauen Augen wirkten ernst und distanziert. »In Spanien hat er die Frau verloren, die er liebte. In seinen Träumen verfolgt sie ihn noch heute.«
Erstarrt und sichtlich schockiert saß Madeline still da. Die Standuhr in der Ecke tickte unnatürlich laut.
Das erklärte vieles.
Und doch erklärte es nicht annähernd genug.
»Könnt Ihr mir von ihr erzählen?«
Regina schüttelte den Kopf. In ihren silbrigen Augen lag Mitgefühl. »Nein. Aus zwei Gründen. Erstens weiß ich nicht genug, um es Euch zu erzählen. Und zweitens finde ich, er sollte derjenige sein, der Euch davon erzählt.« Sie zögerte, doch dann fügte sie leise hinzu: » Irgendwem muss Luke davon erzählen. Und ich finde, Ihr seid dafür die Richtige.«
Kapitel 26
Es war die Ruhe vor dem Sturm, wie er sie von einer Schlacht kannte.
Luke verspürte ein ganz bestimmtes Kribbeln, das über die Haut kroch und hinter sich eine Spur herzog. Wie ein Raubtier, das ihn mit seinen Krallen traktierte. Ein beunruhigendes Unwohlsein packte ihn, weil er wusste, dass irgendetwas nicht stimmte.
Alice Stewart war nicht nur die Cousine von Lord Brewer, sondern vermutlich auch die Empfängerin einer größeren Geldsumme, die er kurz vor seinem Tod liquide gemacht hatte. Luke machte sich Sorgen; Lord Brewers Tod war so früh und überraschend gekommen, und das Geld … Er zog sich ein trockenes Hemd an und suchte aus der Schublade eine saubere Krawatte. Seine Gedanken rasten, während er wieder und wieder die wenigen Fakten durchging, die er inzwischen kannte.
Madelines Mann hatte Geld
Weitere Kostenlose Bücher