Ein gefaehrlicher Liebhaber
»Das
Schlimmste ist vorbei. Jetzt suche ich uns einen Platz zum Schlafen.«
17
»Wie hast du’s bloß geschafft, diesen Rucksack und all die anderen Sachen mitzunehmen?«, fragte Jillian verwirrt und deutete auf das Zelt, das Ben gerade rasch und geschickt errichtete.
»Das Zelt und der Rucksack gehörten Martim«, erklärte Ben. »Ich habe das meiste von diesem Zeug kurz nach unserer Ankunft rausgeschmuggelt. Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste, wie man hier mal wieder sieht. Wenn nichts passiert wäre, hätten wir das Zeug nicht gebraucht. Ich hab’s zwischen den Felsen am Tunneleingang versteckt, weil ich wusste, falls die Sache eskaliert, will ich mich bestimmt nicht mit einem schweren Rucksack abplagen, wenn ich durch diesen Tunnel muss.«
Das kleine Zelt erschien ihr wie ein Geschenk des Himmels, ein sicherer Hafen, in dem sie sich, zum ersten Mal an diesem Tag, ausstrecken und entspannen konnte. Ihr hatte gegraust bei dem Gedanken, ungeschützt im Freien schlafen zu müssen. Als sie aber sah, dass Ben ein Zelt mitgebracht hatte, war ihr ein tonnenschwerer Stein vom Herzen gepoltert.
»Hast du Hunger?«, erkundigte er sich. »Ich will kein Feuer riskieren, aber es gibt hier genug Zeugs, das man nicht kochen muss.«
»Nein, ich habe überhaupt keinen Hunger mehr.« Nach der Reiskugel und all der Angst und Sorge war ihr Appetit verflogen. Sie war lediglich durstig gewesen, aber sie hatten vorhin etwas getrunken.
Sie leuchtete ihm mit der Taschenlampe, während er das Zelt aufschlug. Er hatte einen schmalen Überhang gefunden, unter dem sie es ein wenig geschützt hatten. Jetzt schnitt er etliche Äste und Ranken ab, um ihren Rastplatz noch besser zu verbergen.
»Nach Ihnen, Madam«, sagte er mit einer einladenden Geste aufs Zelt, und sie krabbelte dankbar hinein; er folgte ihr und zog den Reißverschluss des Zelteingangs zu.
»Mach dich rasch fertig, Kleines. Wir müssen die Batterie der Taschenlampe schonen.«
Müde zog sie Schuhe und Strümpfe aus und streckte sich auf der dünnen Isomatte aus, wobei sie so weit wie möglich beiseiterückte, um Ben Platz zu lassen. Er schob den Rucksack in eine Ecke, legte die Pistole in Griffweite und zog sich ebenfalls Stiefel und Socken aus. Dann knipste er die Taschenlampe aus, und auf einmal drückte die Dunkelheit wie ein Gewicht auf sie.
Ben streckte sich neben ihr aus. Sein langer Körper war warm und tröstlich.
Jetzt, wo sie sich endlich entspannen konnte, brachen all die Dinge über sie herein, die sie den ganzen Tag lang mühsam verdrängt hatte. Rick war tot.
»Er hat gesagt, ich soll weglaufen«, murmelte sie. »Ich war nicht blind Ricks Fehlern gegenüber; wir standen uns nie nahe. Die meiste Zeit über hat er mich echt gehasst, glaube ich. Aber als er Dutra mit der Pistole sah und merkte, was geschah, waren seine letzten Worte, ich soll fortrennen.«
»Als du ihm an dem Felssims das Leben gerettet hast, hat er wohl angefangen, nachzudenken und die Ereignisse ein wenig anders zu sehen«, entgegnete Ben mit tiefer, ruhiger Stimme. »Danach war er kein so großes Arschloch mehr.«
»Nein«, stimmte sie ihm zu und musste dabei an die wenigen kurzen Gespräche denken, die sie gehabt hatten. »Danach nicht mehr.« Nach einem kurzen Moment des Schweigens sagte sie: »Er hat mir einmal eine Puppe gestohlen, als ich noch klein war. Er hat sie kaputt gemacht, einfach in Stücke gerissen. Ich hab sie beim Rumschnüffeln in seinem Zimmer entdeckt. Ich weiß nicht, warum, aber ich hab nie was gesagt.«
»Hattest du Angst vor ihm?«
»Nein. Aber er... er schien nie richtig zur Familie zu gehören. Papa und ich, wir standen uns so nahe, und ich weiß jetzt, dass Rick sich das auch gewünscht hat. Aber ich war Vater nun mal so ähnlich, was Temperament und Interessen anging, dass der arme Rick keine Chance hatte. Den Löwenanteil von Papas Aufmerksamkeit habe immer ich gekriegt. Kein Wunder, dass Rick mich hasste.«
»Es hätte so oder so keinen Unterschied gemacht«, meinte Ben. »Ob du nun geboren worden wärst oder nicht. Die Leute sind, wie sie sind. Er hätte es ohnehin nie weit gebracht, egal unter welchen Umständen.«
»Das werden wir wohl nie mehr erfahren«, sagte sie traurig. Abermals schwieg sie kurz, dann sprach sie weiter. »Vicente ist tot. Er war der Erste, den Dutra erschoss.«
Ben fluchte, dann seufzte er. Vicente war ein verlässlicher Arbeiter gewesen, unbekümmert und stets gut gelaunt. Nicht einmal die ernste Warnung, die Ben
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