Ein gefährliches Werkzeug
gastfreundlich, so verwandtschaftlich liebevoll gezeigt.
Fräulein Pharr schwelgte noch immer unermüdlich im Genuß ihres neuen Spielzeuges und der alte Arzt war ihr williger Sklave, wie er es thatsächlich schon von ihrer Geburt an gewesen war. Da sie geschickt und gelehrig war und ständig einen solchen erfahrenen Ratgeber zur Seite hatte, machte sie große Fortschritte. Sie hatten auf der Wiese ein Zelt errichten lassen und nahmen nun das Haus von den verschiedensten Gesichtspunkten aus auf. Frau Wyncott,die bei Arnolds Ankunft im Zelte saß, freute sich zu beobachten, daß Fräulein Pharr ihn ganz anders empfing als seinen Vetter und bei seinem Anblick keinen Schimmer von Freude zeigte.
Auch Arnold selbst schien sich nicht recht behaglich zu fühlen und der junge Advokat bemühte sich so sichtbar um die Erbin, daß sich der Geistliche ganz überflüssig gefühlt hätte, wäre nicht Edith so aufmerksam gegen ihn gewesen. Beim Gabelfrühstück wurde er gewaltsam in die Unterhaltung gezogen und schleuderte, ohne zu ahnen, eine Art Bombe in die Gesellschaft.
»Rate einmal, wen ich gestern abend in der Stadt getroffen habe, Wyncott,« sagte er zu seinem Vetter.
»Ein schwer zu lösendes Rätsel,« gab Esden nachlässig zurück.
»Ich traf den Boomer. Boomer Brown.«
»Unmöglich!« rief Esden, vom Tisch aufspringend. Aufrecht, mit gerötetem Antlitz stand er da und warf einen flüchtigen Blick über den Tisch. Dann wurde er blaß und setzte sich nieder. »Ich bitte um Entschuldigung,« sagte er mit dem alten Klang in seiner Stimme. »Ich hatte gehört, der Boomer sei gestorben – Boyce hat es mir mitgeteilt. Arnolds Mitteilung,« damit wandte er sich an seine Tante, »überwältigte mich. Es war, als hätte ich einen Geist gesehen. Ich muß Boomer aufsuchen, Arnold.«
»Da mußt du schnell dazu thun,« erwiderte Arnold, »denn heute abend reist er wieder ab, glaube ich.«
»Wohin?« fragte Esden.
»Nach Honduras zurück.«
»Liebe Tante,« sagte Esden, sich langsam erhebend, »ich bin überzeugt, daß du mich entschuldigen wirst; Boomer ist ein alter Freund von mir, und ich glaubte, er sei tot und ich würde ihn niemals wiedersehen. Ich will schnell nach London fahren und ihn aufsuchen. Du gestattest es doch?«
»Gewiß, geh jedenfalls, Wyncott,« erwiderte die alte Dame.
»Weißt du, wo er abgestiegen ist, Arnold?«
»Im Langhamhotel. Ich glaube, bis sechs Uhr ist er dort.«»Wann geht der nächste Zug?«
»In fünfundzwanzig Minuten, Herr Esden,« sagte der Diener, der bei Tisch aufwartete.
»Den werde ich benützen,« erklärte Esden; »ich nehme eine Handtasche mit für den Fall, daß ich ihn bestimmen kann, noch eine Nacht zu bleiben. Ich möchte ihn um keinen Preis verfehlen.«
Damit verließ er das Zimmer; man hörte ihn die Treppe hinaufeilen und kurz darauf das Haus verlassen, nachdem er sein wahrhaft strahlendes Gesicht noch einmal zur Thür hereingestreckt hatte.
»Wenn ich um neun Uhr nicht zurück bin, müßt ihr mich heute nicht mehr erwarten,« sagte er und verschwand lächelnd.
»Es ist etwas Schönes um solche Freundschaften zwischen jungen Männern,« sagte die alte Dame zu Fräulein Pharr. »Aus einer derartigen Empfindung bei einem Mann kann man ersehen, was für ein Herz er hat. Der liebe, arme Wyncott! Er war ganz ergriffen.«
Daß der liebe, arme Wyncott ergriffen und zwar tief ergriffen war, konnte selbst dem oberflächlichsten Beobachter nicht entgehen, allein nicht die Wärme seiner Empfindung für den so zufällig erwähnten Freund hatte ihn so erregt.
Des Pudels Kern war: der Boomer war nicht nur der großmütigste und liebenswürdigste, sondern auch der reichste von allen Bekannten Esdens. Er brauchte ihm seine Verlegenheit nur anzudeuten, um davon befreit zu werden. Im Geiste hörte er schon die laute, fröhliche Stimme seines Freundes, mit der dieser ihm zuvorkam und rief: »Dreihundert, alter Junge? Gewiß! Sagen wir lieber fünfhundert.« Selbstverständlich pflegte der Millionär aus Honduras sich nicht allen alten Schulkameraden in derselben leichten Weise zugänglich zu machen, allein er hatte Esden zufällig einmal vom Ertrinken gerettet und seither liebte er ihn, als ob er ihn in die Welt gesetzt hätte.
Den gottverlassenen J. P. zu retten – und sich daneben – es war eine glänzende Aussicht! Nie hatte Esden die Sommersonne Heller gestrahlt, als an diesem Nachmittagund die Erde lachte ihm fröhlich entgegen. Er schlug alle Sorgen in den Wind und fuhr
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