Ein gefährliches Werkzeug
Klang einer heftig gezogenen Glocke und unmittelbar darauf verriet das Geklirr fallenden Metalles, daß die Glocke selbst auf den eichenen Fußboden der Halle herabgestürzt sei. Noch ehe jemand seinem Erstaunen Ausdruck verleihen konnte, riß Janet eines der Fenster ihres Schlafzimmers auf, beugte sich weit heraus und rief mit aufgeregter Stimme: »Arnold! Edith! Meine Juwelen!«
Arnold, Edith und der Doktor rannten dem Hause zu, während Frau Wyncott starr vor Schrecken wie angewurzelt auf dem Rasen stehen blieb. Arnold war natürlich allen voraus, und als er die Treppe hinaufstürzte, gewahrte er einen Augenblick ein schwarzhaariges, dunkeläugiges Mädchen mit marmorblassem Antlitz, die sich an den Thürpfosten vonFräulein Pharrs Zimmer klammerte und deren Züge den Ausdruck ungeheuren Entsetzens zeigten. Als sie und Arnold einander gleichzeitig gewahr wurden, glitt sie in das Zimmer, und bei seinem Eintritt stand sie vor Fräulein Pharr.
»Meine Edelsteine,« rief die Erbin; »man hat mir meine Edelsteine gestohlen!«
Die Blicke des Mädchens glitten langsam, wie von einem bestimmten, schreckenerregenden Gegenstand angezogen, die Wände entlang; doch ehe Arnold, der ihrem Blick gefolgt war, entdecken konnte, nach was sie gesehen hatte, stieß sie einen Schrei aus und stürzte leblos und steif zur Erde. Im Fallen schlug ihr Kopf gegen den Kaminvorsatz und sie lag da wie eine Leiche.
Fräulein Pharr, die einen Augenblick sogar ihre Juwelen vergaß, stürzte mit einem Angstschrei vorwärts und knieete neben ihrer Jungfer nieder. Arnold schlang seine Arme um die regungslose Gestalt und versuchte sie aufzurichten; aber der Kopf des Mädchens sank leblos zurück, und in diesem Augenblick trat der Doktor atemlos ins Zimmer.
»Was ist dies?« fragte er keuchend. »Eine Gewaltthat?«
Er riß zwei oder drei Handtücher von dem Waschtisch weg, breitete eines davon auf dem Kopfkissen des Bettes aus und legte mit Arnolds Hilfe das bewußtlose Mädchen darauf nieder. Geschickt löste er den dicken Haarknoten auf und rief geschäftsmäßig nach einem Schwamm. Fräulein Wyncott, die dem Arzt auf dem Fuße gefolgt war, brach bei dem Anblick von Blut in krampfhaftes Weinen aus. Elphinstone wandte sich an die blasse und zitternd neben ihm stehende Janet und sagte ruhig: »Sehen Sie zu, daß Fräulein Wyncott sich nicht krank macht. Führen Sie sie fort und sorgen Sie, daß sie ruhig bleibt. Und dann schicken Sie mir ein paar große Tücher und eine Schere herauf.«
Janet gehorchte. Die beiden Dienstmädchen und der kleine Bediente bildeten im Flur eine erschrockene Gruppe und im Vorbeigehen befahl Fräulein Pharr einem der Mädchen, dem Arzt zur Hand zu gehen.
»Kann ich Ihnen irgend etwas helfen, Herr Doktor?« fragte Arnold.
»Ja,« erwiderte dieser, »Sie können den Mund halten. Geben Sie mir das Becken mit Wasser dort – halten Sie es so.«
Das Mädchen war auf eine äußerst scharf geschliffene Kante des stählernen Kaminvorsetzers gefallen und hatte eine ernstliche Wunde davongetragen, die so stark blutete, daß es geraume Zeit unmöglich war, ihre Art und Größe festzustellen. Als aber eines der Mädchen die verlangte Schere gebracht hatte, schnitt Elphinstone dicke Strähne des Haares heraus und untersuchte die Verletzung ganz genau.
»Was war denn das für ein Geschrei wegen der Edelsteine?« fragte er, als es ihm gelungen war, die Blutung mit kalten Umschlägen zu stillen.
»Ich weiß nichts,« antwortete Arnold, »als daß Fräulein Pharr erklärte, sie seien gestohlen. Sind sie sehr wertvoll?«
»Wertvoll?« gab Elphinstone zurück. »Sie haben einen Wert von dreißig- bis vierzigtausend Pfund. Für die Patientin kann im Augenblick nichts geschehen,« fügte er hinzu. »Kommen Sie, Harriet, fetzen Sie sich hierher und lassen Sie Ihre Freundin ab und zu dieses Salz einatmen.«
»Ich vermute, daß dies das Schränkchen ist, aus dem sie gestohlen worden sind,« sagte Arnold.
Er und der Arzt untersuchten das Möbel, von dem er gesprochen. Die Thür des Schränkchens lag an der Erde und da die Scharniere herausgebrochen waren, starrte das weiße Holz aus der sonst ebenholzartig lackierten Thüre hervor. Genau in der Mitte dieser Seite zeigte sich eine flache viereckige Schramme im Holzwerk und Arnold legte einen Finger darauf.
»Ah,« sagte der Doktor, »hier wurde die Brechstange angesetzt. Zu diesem Stück Arbeit war eine starke Hand erforderlich.«
»Bei unsern Untersuchungen hier kommt nichts
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