Ein Gentleman wagt - und gewinnt
warmen Finger spürte.
Durch halb gesenkte Wimpern wagte sie einen Blick in sein Gesicht und wünschte prompt, das hätte sie nicht getan. Denn wie seine zuckenden Mundwinkel bewiesen, erkannte er, was in ihr vorging – dass sie sich vergeblich bemühte, den Anschein zu erwecken, seine Nähe wäre ihr gleichgültig.
Lady Penrose begann zu spielen. Da Abbie von jeher gern getanzt hatte, beherrschte sie die erforderlichen Schritte binnen weniger Minuten. Doch Barton war auch ein ausgezeichneter Lehrer. Das musste sie ihm widerwillig zugestehen. In vollendeter Harmonie schwebten sie durch den Salon, als wäre dies nicht ihr erster gemeinsamer Walzer.
“Großartig!” Lady Penrose klatschte in die Hände. “Soll ich eine Zugabe spielen? Wenn das junge Tanzpaar etwas länger üben möchte …”
“Nein, danke”, erwiderte Abigail rasch, damit Barton nicht auf den Vorschlag eingehen konnte. Warum hielt er ihre Hand so lange fest? Energisch befreite sie sich aus seinem Griff. “Mr. Cavanagh hat mir alles Erforderliche beigebracht.”
“Zumindest auf dem Tanzparkett”, murmelte er, nur für ihre Ohren bestimmt. Als sie sich von ihm entfernte, lachte er leise. “Nun müssen wir aufbrechen, Lady Penrose. Sonst glaubt meine Stiefmutter womöglich, ich hätte ihre Tochter in einem Wutanfall erwürgt.”
“Wie leid Sie mir tun, Kitty!”, beteuerte Abigail, obwohl das Mädchen seine Hänselei nicht krummzunehmen schien. “Wenn alle Brüder ihre Schwestern so behandeln, bin ich froh, dass mir solche Qualen erspart wurden.”
“Oh, manche Ehemänner sind noch viel schlimmer”, warnte er.
“In diesem Fall bin ich genauso beglückt über meinen Entschluss, niemals zu heiraten.”
Eigentlich hatte sie die Worte scherzhaft gemeint. Aber ihre Patentante wirkte schockiert, Kitty unerklärlicherweise enttäuscht und Barton sogar verärgert. Dann nahm sein Gesicht einen nachdenklichen Ausdruck an, während er den jungen Damen half, das Mobiliar wieder an seinen Platz zu rücken.
“Welch ein erfolgreicher Besuch, nicht wahr?”, bemerkte Ihre Ladyschaft, sobald die Gäste das Haus verlassen hatten.
“Vor allem unerwartet”, meinte Abbie.
“Findest du?” Lady Penrose musterte ihre Patentochter eindringlich. “Also,
ich
wäre überrascht gewesen, hätte Mr. Cavanagh uns nach seiner Rückkehr keine Aufwartung gemacht.”
Am nächsten Abend begleitete Abigail ihre Patentante ein wenig widerstrebend zum Haus der Cavanaghs, voller Angst vor dem drohenden Tanz mit Barton. Viel zu oft musste sie an ihn denken – und sie fürchtete, dass ihm die Wirkung, die er auf sie ausübte, nicht verborgen geblieben war.
Bei ihrem Anblick leuchteten seine Augen auf und legten die Vermutung nahe, sie habe ähnliche Gefühle in ihm erregt. Einerseits schmeichelte ihr sein Interesse, andererseits sagte sie sich, die Art seines Umgangs mit dem weiblichen Geschlecht lasse zu wünschen übrig. Aber es konnte nicht schaden, wenn sie … Freunde wurden, oder?
“Stört Sie irgendetwas, Abbie?”, fragte er leise, als sich Lady Penrose zu seiner Stiefmutter wandte.
Hatte er in ihrer Miene gelesen, wie ihr zumute war? “Oh – ich sorge mich nur, weil ich zum ersten Mal in der Öffentlichkeit Walzer tanzen muss.”
“Deshalb brauchen Sie sich nicht zu beunruhigen.” Bartons Blick wanderte über ihre Gestalt.
Wie gut sie in ihrem neuen Kleid aus hauchdünner Gaze über himmelblauer Seide mit den passenden Accessoires aussah, wusste sie. Die kunstvoll arrangierten Locken hatte Miss Felcham mit winzigen künstlichen Vergissmeinnichtblüten geschmückt. Dazu passten ein Anhänger und Ohrringe aus Saphiren, die Lady Penrose ihr freundlicherweise geliehen hatte.
Die Anerkennung in Bartons Augen erschien ihr wie eine Liebkosung und trieb ihr heiße Röte in die Wangen.
“Was immer Sie vielleicht glauben, Abbie, ich bin kein Ungeheuer”, fügte er hinzu und schaute ihr ins Gesicht. “Wenn Sie mir versehentlich auf die Zehen treten, werde ich gewiss nicht schreien. So kleine Unannehmlichkeiten nehme ich gern in Kauf, wenn ich dafür mit Ihnen Walzer tanzen darf.”
Plötzlich fiel ihr das Atmen schwer, und sie vermochte ihren rasenden Puls kaum zu kontrollieren. Gewiss, sie war an bewundernde Männerblicke gewöhnt. Aber wenn
dieser
Gentleman sie ansah, fühlte sie sich verwirrt, bedrängt und freudig erregt zugleich.
“Flirten Sie mit mir, Sir?”, versuchte sie zu kokettieren, um ihre flatternden Nerven zu beruhigen.
“Oh
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