Ein Gentleman wagt - und gewinnt
nein, ich flirte nie.” Seine Stimme klang ein wenig heiser. “Jedenfalls nicht mit Ihnen.”
Glücklicherweise gestattete ihr die Ankunft neuer Gäste, aus seiner Nähe zu flüchten. Doch zuvor hatte sie sein ironisches Lächeln bemerkt. Offenbar war ihm ihr erleichtertes Aufatmen nicht entgangen.
Bald fanden sie und Lady Penrose ein paar freie Stühle, und Kitty gesellte sich zu ihnen, mit strahlenden Augen, bildhübsch in einem neuen Kleid aus elfenbeinweißer Seide.
“Weil bald der Tanz beginnt, hat Barton mir erlaubt, die restlichen Gäste zu begrüßen.” Suchend schaute sie sich im großen Salon um, der mit exquisiten Blumenarrangements und Topfpalmen geschmückt war. “Wie großartig Mama solche Soireen organisiert … Sogar Barton hat zugegeben, dass sie eine hervorragende Gastgeberin ist. Und er pflegt uns Frauen nicht gerade mit Komplimenten zu überhäufen. Natürlich bilden
Sie
eine Ausnahme, Abbie”, ergänzte sie hastig. “Er schätzt Sie über alle Maßen.”
Abigail, die gerade an einem Glas mit Fruchtpunsch nippte, das ihr ein Lakai überreicht hatte, verschluckte sich und musste husten. “Welch ein Unsinn …”, protestierte sie, als sie wieder sprechen konnte.
“Keineswegs, Liebes”, entgegnete Lady Penrose. “Zweifellos hat Kitty recht – ihr Bruder bewundert dich. Von Anfang an hielt ich ihn für einen Gentleman, der keine Geduld mit affektierten, schwatzhaften Mädchen aufbringt. Du dagegen bist schön und vernünftig, und du hast zudem den starken Charakter deines Großvaters geerbt – und wie ich annehme, seinen Eigensinn.”
Abbie wusste nicht, ob sie das als Kompliment nehmen sollte. In den letzten Tagen hatte sie den Eindruck gewonnen, dass ihre Patentante dem Colonel nicht allzu wohlgesinnt war. Kein Wunder, entschied Abigail, sie hat mich ins Herz geschlossen. Und wenn sie eine Abneigung gegen Großvater hegt, weil er mich so lieblos behandelt, ist das nur allzu verständlich …
Von einem höchst undamenhaften Freudenschrei aus ihren Gedanken gerissen, hob sie den Kopf, um festzustellen, was Kitty dermaßen beglückte. Soeben hatten zwei modisch gekleidete Gentlemen den Salon betreten – der eine in erstaunlichem Kanarienvogelgelb und Lavendelbau, der andere etwas dezenter in einem schwarzen Gehrock und hellbraunen Breeches. Nach Bartons grimmiger Miene zu schließen, missfiel ihm die Ankunft der beiden.
“Oh, Vetter Cedric!” Entzückt klatschte Kitty in die Hände. “Wieso ist er in Bath? Entschuldigen Sie mich, ich muss ihn willkommen heißen.”
“Was meinst du, Tante – welcher von den beiden ist Vetter Cedric?”, fragte Abbie. “Der Dandy, der wegen seines hohen Hemdkragens kaum den Kopf bewegen kann? Oder der tadellos gekleidete Gentleman an seiner Seite?”
“Vermutlich der herausgeputzte junge Geck”, erwiderte Lady Penrose unverblümt. “Und wenn ich mich nicht irre, ist sein Gefährte der Neffe der Dowager Lady Marchbank, Charles Asquith. Nach allem, was Hermine Marchbank mir erzählte, gerät der Tunichtgut ständig in Schwierigkeiten. Er besucht sie nur, wenn ihn die Last seiner Schulden fast erdrückt. Meistens rettet ihn die törichte Frau vor seinen Gläubigern.”
Belustigt lauschte Abbie den indiskreten Enthüllungen. In Bath geschah nicht viel, was der Aufmerksamkeit ihrer Patentante entging. Offenbar schätzte sie den Neffen der Dowager nicht sonderlich. Aber er bot einen sehr angenehmen Anblick. In diesem Raum ist er eindeutig der attraktivste Mann, befand Abigail, während Kitty mit den beiden Gentlemen herbeieilte. Seidig glänzende goldene Locken umrahmten ein Gesicht mit ebenmäßigen klassischen Zügen.
“Und was hat dich nach Bath verschlagen, Ceddie?”, fragte Kitty, nachdem sie die Neuankömmlinge mit Lady Penrose und Abbie bekannt gemacht hatte.
“Nun, meinem Freund Charles stand der Sinn nach einem Tapetenwechsel. Und so beschloss ich, ihn zu begleiten, während er seine Lieblingstante besucht.”
“Das dachte ich mir”, murmelte Lady Penrose. “Also steckt der junge Taugenichts wieder einmal in einem finanziellen Engpass.”
Zum Glück hörte niemand außer Abbie den Kommentar, da Cedric Cavanagh gerade verkündete, in letzter Zeit habe ihn das Leben in der Hauptstadt gelangweilt. “Immer die gleichen öden Bälle und Soireen. Und Mama präsentiert mir dauernd neue Debütantinnen”, fügte er hinzu und unterdrückte ein Gähnen. “Dieses ganze Getue ermüdet mich ganz schrecklich.”
“Das verstehe ich
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