Ein Gentleman wagt - und gewinnt
nicht”, erwiderte Kitty. “Was mich betrifft – ich kann es kaum erwarten, im nächsten Jahr in die Gesellschaft eingeführt zu werden. Am liebsten wäre ich schon jetzt nach London gefahren. Aber Barton meint, ich müsste erst einmal üben, mich in gehobenen Kreisen zu benehmen.”
Seufzend zog Cedric eine reich verzierte Schnupftabakdose aus der Tasche seines eng taillierten Rocks und nahm eine Prise, wobei er eine bühnenreife Gestik demonstrierte. “So ungern ich meinem großen Vetter zustimme – in diesem Punkt gebe ich ihm recht. In London duldet man Übermut bei jungen Damen nicht. Und es wäre mir sehr unangenehm, wenn du unserem stolzen Namen Schande bereiten würdest.”
Geradezu meisterhaft kontrollierte Abigail ihren Lachreiz, und sie wusste nicht, was sie amüsanter fand – die komische Bestürzung ihrer Patentante oder den vernichtenden Blick, den Kitty ihrem herausgeputzten Vetter zuwarf. Dann sah sie Mr. Asquith lächeln. Mochte Lady Penroses Einschätzung von ihm auch zutreffen – er besaß wenigstens einen gewissen Humor. “Ceddie, alter Junge, dein Mangel an
savoir faire
überrascht mich”, gestand er scherzhaft. “Ich werde mir ernsthaft überlegen, ob ich dich aus meinem Freundeskreis verbannen soll, falls du dich plötzlich zum Rüpel entwickelst.”
Theatralisch runzelte Cedric die zornesrote Stirn, was Abbie beinahe aus ihrer mühsam gewahrten Fassung brachte. “Zu deiner Information, Charles, an meinem Verhalten gibt es nichts auszusetzen. Was man von anderen Mitgliedern meiner Familie keineswegs behaupten kann. Dass Kittys Benehmen Anstoß erregt, nimmt mich nicht wunder, denn ihr Bruder geht ihr wohl kaum mit gutem Beispiel voran. Was für ein Rohling!” Schaudernd verdrehte er die Augen. “Welch ein Jammer, dass er eines Tages zum Oberhaupt unserer Familie avancieren soll!”
“Zerreißt du dir wieder einmal das Maul über mich, Cedric?” Unbemerkt war Barton herangetreten. Wie Abbie seinem sarkastischen Lächeln ansah, fand er die Unverschämtheit seines Vetters eher erheiternd als ärgerlich.
Seltsamerweise versuchte Cedric nicht, seinen Worten die Spitze zu nehmen. Die Brauen herausfordernd hochgezogen, drehte er sich zu seinem Verwandten um, der ihn um Haupteslänge überragte. “Nun, ich habe nie ein Geheimnis aus meiner Überzeugung gemacht, dass du für diese Rolle ungeeignet bist, Barton.” Nur sekundenlang senkte er den Blick und entfernte ein nicht vorhandenes Stäubchen von seinem Ärmel.
“Nicht ungeeignet”, widersprach Barton. “Lediglich weniger interessiert am Erbe des Titels als du. Und falls du es vergessen hast – vor knapp zwei Jahren hat unser hoch geschätzter Onkel zum zweiten Mal geheiratet.”
Verächtlich kräuselte Cedric die Lippen. “Dank seines fortgeschrittenen Alters wird diese Verbindung wohl kaum einen Sohn hervorbringen.”
“So gebrechlich, wie du offenbar glaubst, ist er nicht, Cedric, und durchaus imstande, seine ehelichen Pflichten zu erfüllen. In seinem letzten Brief las ich erfreut, wie ungeduldig er dem Herbst entgegenfiebert. Dann wird Lady Cavanagh ihm ein Pfand ihrer Zuneigung präsentieren.”
Bestürzt zuckte Cedric zusammen, erholte sich jedoch erstaunlich schnell und hob betont gleichmütig die Schultern. “Das heißt noch lange nicht, dass es ein Junge wird.”
“Natürlich nicht”, bestätigte Barton. “Gleichwohl hoffe ich inständig darauf – wenn ihm das Baby auch niemals unseren Vetter Philip ersetzen kann, dessen Tod uns alle so schmerzlich getroffen hat.”
In diesem Moment erkannte Abbie, wie wenig sie über die Familienverhältnisse der Cavanaghs wusste. Zu gern hätte sie mehr erfahren, doch Bartons Worten folgte ein drückendes Schweigen, und sie seufzte erleichtert, als das Orchester wenig später zu spielen begann. Von Mr. Asquith zum Tanz aufgefordert, erhob sie sich bereitwillig.
“Leben Sie schon lange in Bath, Miss Graham?”, fragte er auf dem Weg zur Tanzfläche.
“Ich kam erst vor einem knappen Monat hierher, Sir, und bin zu Besuch bei Lady Penrose, meiner Patentante.”
“Dann sind Sie nicht mit den Cavanaghs verwandt?”
Mehrere junge Damen warfen neidische Blicke in Abigails Richtung, was sie nicht überraschte. In diesem Raum sah kein Gentleman so fabelhaft aus wie Charles Asquith. “Nein, Sir, allerdings kenne ich Barton Cavanagh seit vielen Jahren, denn er ist der Patensohn meines Großvaters.”
“Ah, ich verstehe. Also können Sie meine Neugier vermutlich nicht
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