Ein Gentleman wagt - und gewinnt
Abbie verkündet hatte, es gäbe eine ihrer Lieblingsspeisen – Hühnchen in delikater Sahnesauce – zum Dinner. “Barton schätzt so üppige Gerichte gar nicht mehr. Das hängt sicher mit den erzwungenen Entbehrungen bei der Armee zusammen. Er bevorzugt einfache Kost.”
Inzwischen hatte Abigail den Eindruck gewonnen, dass Eugenie keineswegs in Ehrfurcht vor ihrem Stiefsohn erstarrte, sondern lediglich versuchte, jene unangenehmen Konfrontationen zu vermeiden, die sie früher viel zu oft erduldet hatte.
Abbie kannte niemanden, der so gut und selbstlos war wie Eugenie. Doch sie verstand auch, was Barton an seiner Stiefmutter ärgerte. Sie selbst war nahe daran gewesen, die Beherrschung zu verlieren, als sie mit ihr das neue Dekor für die Bibliothek besprochen hatte. Was immer die Frau guthieß, stellte sie einen Moment später infrage. Letzten Endes hatte Abigail alle Entscheidungen getroffen.
“Wenn er das Hühnchen nicht essen will, wird ihn niemand dazu zwingen”, erwiderte sie jetzt. “Da Miss Figg seine Vorlieben kennt, hat sie sicher etwas anderes vorbereitet. Außerdem wäre es unklug, auf alle Launen eines eigenwilligen Gentlemans einzugehen. Sonst würde man seine Selbstsucht noch fördern.”
Kitty brach in Gelächter aus. “Offenbar fürchten Sie sich kein bisschen vor meinem Bruder, Abbie.”
“Warum sollte sie?”, erklang eine tiefe Stimme. Alle drehten sich zu Barton um, der in der Tür stand und amüsiert die Brauen hob. “Sie gibt mir nie einen Grund, erzürnt zu sein. Dafür ist sie viel zu vernünftig.”
“Seien Sie da nicht so sicher”, konterte Abbie. “Heute Morgen führte ich ein langes Gespräch mit Mr. Figg. Oh, Sie ahnen nicht, wozu ich ihn überredet habe – und was künftig in dem idyllischen ummauerten Teil des Gartens blühen wird.”
“Verraten Sie’s uns!”, drängte Eugenie, als Abbie boshaft kicherte.
“Dahlien.”
“Was?”, stieß Barton hervor. “Doch nicht diese neumodischen Blumen?”
“Seltsam, das hat Figg auch gesagt”, erzählte Abigail. “Dennoch ließ er sich davon überzeugen, ein ganzes Beet damit zu bepflanzen. Wie schade, dass ich nicht hier sein werde, um das Ergebnis seiner Mühe zu bewundern …”
Barton schien alles andere als erfreut. Nach einem düsteren Blick in Abbies Richtung ging er zu dem Tisch, auf dem die Karaffen standen.
Indes hielt sein Groll nicht lange an. Beim Dinner brachte sie ihn wiederholt zum Lachen, und er nahm sich eine großzügige Portion von ihrer Lieblingsspeise. Danach verzichtete er auf seinen gewohnten Portwein und begleitete die Damen in den Salon zurück, um mit ihnen Tee zu trinken.
“Eugenie”, begann er und setzte sich neben Abigail auf das Sofa, “ich habe mich gefragt, ob du und Kitty nicht deine Schwester in Brighton besuchen möchtet, nachdem euer Aufenthalt in Bath so viel kürzer ausgefallen ist als geplant.”
Erfreut nickte seine Stiefmutter, dann fiel ihr Blick auf Abbie, und der Glanz in ihren Augen erlosch. “Das würde ich gern tun. Aber unter den gegebenen Umständen sollte ich nicht wegfahren.”
“Um die Schicklichkeit brauchst du dich nicht zu sorgen”, entgegnete er, da er den Grund ihres Widerstrebens erraten hatte. “Selbstverständlich würde ich eine Anstandsdame für Abbie einladen. Ich müsste lediglich Lady Penrose benachrichtigen, und sie würde sofort zu uns kommen. Vor unserer Abreise aus Bath versicherte sie mir, dazu wäre sie jederzeit bereit, falls ihre Patentochter länger als geplant hierbliebe.”
Ärgerlich starrte Abbie ihn an. “Das wird sich wohl kaum vermeiden lassen, wenn Sie mir weiterhin so selten Modell sitzen. Nun wohne ich schon seit drei Wochen in diesem Haus, und das Porträt befindet sich immer noch im Anfangsstadium.”
Statt zu antworten, lächelte er nur und wandte sich wieder zu seiner Stiefmutter. “Also kannst du reinen Gewissens ein paar Wochen an der Küste genießen. Sicher wird die Meeresluft Kitty und dir guttun.”
Während Eugenie entzückt zustimmte, zeigte Kitty erstaunlicherweise keine Begeisterung. Was ihr missfiel, erklärte sie, sobald ihre Mutter in ihr Zimmer geeilt war, um einen Brief an ihre Schwester zu schreiben. “Nicht, dass ich nicht gern mit Mama verreisen würde, Barton … Aber Ende des Monats feiert sie ihren fünfzigsten Geburtstag, und ich dachte, wir veranstalten ein Fest. Das wollte ich zusammen mit Abbie arrangieren und Mama überraschen.”
“Nun, dann fahrt ihr eben erst danach zu deiner
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