Ein Gentleman wagt - und gewinnt
Tante. Am besten sagen wir deiner Mutter, Lady Penrose könnte Bath nicht vor dem Monatsende verlassen.”
Abbie erklärte sich bereit, bei den Vorbereitungen für die Feier zu helfen. Später in ihrem Schlafzimmer fragte sie sich allerdings, ob es klug war, wenn sie sich in die Familienangelegenheiten der Cavanaghs hineinziehen ließ. Nur mit ihrem Nachthemd bekleidet, setzte sie sich auf die Fensterbank und sah auf den stillen Teich hinaus, auf dem sich das Mondlicht spiegelte.
Wie sie diese Aussicht liebte … Und wie schnell sie das ganze Anwesen ins Herz geschlossen hatte – das Haus, den Garten … Doch am allermeisten schätzte sie die Gesellschaft ihres Gastgebers. Es war sinnlos, die Augen noch länger vor der Wahrheit zu verschließen. Barton bedeutete ihr sehr viel.
Lächelnd schüttelte sie den Kopf. Erst vor zwei Monaten hatte sie ihn für den Fluch ihres Lebens gehalten, für einen infamen Schürzenjäger, der die Schuld an ihrem Kummer in den letzten sechs Jahren trug. Und jetzt beurteilte sie ihn ganz anders. Was hatte er denn verbrochen? Nichts, entschied sie, abgesehen davon, dass er Großvaters einflussreichstem Nachbarn Hörner aufgesetzt hatte. Mittlerweile gab sie ihrer Patentante recht. Welcher normale Mann würde ablehnen, was ihm so großzügig angeboten wurde? Und bei jener Affäre war Lady Sophia Fitzpatrick zweifellos die treibende Kraft gewesen.
Eine Sache nagte indes nach wie vor an ihr – keine zwei Stunden nach dem Rendezvous im Pavillon hatte er um ihre Hand angehalten. Wie sollte sie den seriösen, verlässlichen, rücksichtsvollen Herrn von Cavanagh Court mit dem leichtfertigen jungen Burschen in Einklang bringen, der so skrupellos gewesen war, ihr einen Heiratsantrag zu machen? In derselben Kleidung, die er beim Schäferstündchen mit Lady Sophia getragen hatte?
Aus dem Augenwinkel meinte Abbie eine Bewegung bei den Bäumen am Ufer des Teichs wahrzunehmen. Sie spähte angestrengt in die Richtung, aber nun regte sich dort nichts mehr.
Nun, wahrscheinlich war es nur ein Trugbild meiner Fantasie, dachte sie und stieg ins Bett.
Am nächsten Nachmittag ließ sich der Hausherr dazu herab, ihr Modell zu sitzen. Offenbar hatte sie am Vorabend erfolgreich an sein Gewissen appelliert. Doch er begann schon bald rastlos auf seinem Stuhl herumzurutschen.
“Niemand könnte Ihnen vorwerfen, Sie wären ein übertrieben geduldiger Mann, Barton”, seufzte Abbie, als er sehnsüchtig aus dem Fenster schaute. “Vermutlich muss ich mich mit Sitzungen begnügen, die höchstens fünfzehn Minuten dauern, und selbst für die kleinsten Fortschritte dankbar sein.”
Mit ihrem trockenen Humor amüsierte sie ihn immer wieder. “Einen so schönen Tag sollte man nicht in geschlossenen Räumen verbringen. Gehen wir spazieren, Abbie. Ich werde Ihnen später eine weitere halbe Stunde opfern. Aber wenn ich jetzt noch länger stillsitzen muss, bin ich bald steif wie ein Räucheraal.”
Abbie zögerte nicht lange. Gewiss, es wäre schade um den strahlend blauen Himmel. Außerdem hatte Figg, ein erprobter Wetterprophet, für die nächste Zeit Regen vorausgesagt, und man sollte den wunderbaren Tag nutzen. “Also gut, ich hole nur rasch meinen Sonnenschirm. Treffen wir uns in der Halle, es dauert nicht lange.”
Bereits nach wenigen Minuten eilte sie die Treppe zum Erdgeschoss hinab und wurde mit einem anerkennenden Lächeln belohnt, weil sie Wort hielt und den Hausherrn nicht warten ließ. Sie folgte ihm zu dem künstlichen Teich, einem ihrer Lieblingsplätze im Park, den sie schon öfter aufgesucht hatte. Doch noch nie hatte sie die hölzerne Brücke betreten, die zum gegenüberliegenden Ufer führte. Das wollte sie nun nachholen, um den Ausblick zu genießen, der sich auf der anderen Seite bieten würde.
Auf dem schmalen Steg konnten sie nicht nebeneinandergehen, und Barton ließ ihr den Vortritt. Ungehalten musterte er das wuchernde Schilfgras, das einen Großteil der Wasserfläche einnahm. “Ich muss ein paar Männer beauftragen, diese Pflanzen zu entfernen. Hier habe ich Kitty das Schwimmen beigebracht.”
“Oh, dann kann es also auch vorteilhaft sein, wenn man einen älteren Bruder hat. Vor allem wenn er seine kleine Schwester so nützliche Fähigkeiten lehrt …”
Bevor sie sich abwandte und ihren Weg fortsetzte, schenkte sie ihm ein bezauberndes Lächeln. Was für eine reizvolle Frau, dachte er und beobachtete ihre anmutigen Bewegungen. Mit schönen, ebenmäßigen Zügen, einer
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