Ein Gentleman wagt - und gewinnt
wohlgeformten Gestalt und einer damenhaften Haltung – ohne das affektierte Getue, das ihn an vielen jungen Mädchen störte … Für ihn war sie die Verkörperung idealer Weiblichkeit. Nicht nur ihre äußeren Vorzüge fand er anziehend. Genauso bewunderte er ihre Intelligenz, ihren geistreichen Witz, ihre vernünftigen Ansichten. Eine bessere Gefährtin konnte sich kein Mann wünschen.
In solche Gedanken versunken, ging er etwas langsamer hinter Abbie her. Und so war er einige Schritte von ihr entfernt, als das Unglück passierte.
Eben noch hatte sie dagestanden und über die Büsche hinweg zur Dorfkirche geblickt, und im nächsten Moment hörte er einen Schrei, und Abbie stürzte durch krachende Planken ins Wasser.
Er stürmte auf die Stelle zu, rettete aber nur einen zerrissenen rosa Sonnenschirm. Ohne seinen Gehrock auszuziehen, sprang er über das Geländer in den Teich, wo Abbie verzweifelt darum kämpfte, nicht unterzugehen. Barton umschlang ihre Taille und schwamm mit ihr zum Ufer. Mühsam bugsierte er sie durch das dichte Schilf. Dann trug er sie durch knietiefes Wasser und die Böschung hinauf.
Behutsam bettete er sie auf das sonnenwarme Gras und setzte sich zu ihr. Es dauerte einige Minuten, bis sie wieder zu Atem kam und ihm danken konnte, dass er sie vor dem sicheren Tod bewahrt hatte.
Als er nicht antwortete, hob sie den Kopf und sah, dass er sie anstarrte. Immer noch schweigend, zog er seinen triefenden Gehrock aus und legte ihn ihr um.
Den Grund dafür erkannte sie erst später, nachdem Rose sie in ihr Schlafzimmer begleitet hatte. “Heiliger Himmel, Miss, Ihr Kleid ist ja völlig durchsichtig!”, rief das junge Mädchen nicht allzu taktvoll.
Erschrocken schaute Abigail in den Spiegel.
Ja, in der Tat … Sie hatte Bartons Rock abgelegt und sah, dass der nasse Stoff wie eine zweite Haut an ihren Brüsten, den Hüften und Oberschenkeln klebte. Das Haar, das ihr in Strähnen herunterhing, und ihr schmutziges Gesicht störten sie nicht so sehr wie die Erkenntnis, was Barton betrachtet hatte – wenn auch nur kurzfristig. Brennende Röte stieg ihr in die Wangen.
Hastig zog sie das Kleid aus, warf es beiseite und hoffte inständig, es wäre rettungslos ruiniert. Dann müsste sie es nie mehr in ihrem Schrank sehen, und es würde sie nicht an jenen demütigenden Moment erinnern.
Nach einem ausgiebigen Bad schlüpfte sie in ihren Morgenmantel und ließ sich von Rose frisieren. Während das Mädchen die letzten Locken hochsteckte, klopfte es an der Tür, und Kitty trat ein, ein Blatt Papier in der Hand.
Besorgt musterte sie ihre Freundin. “Gerade hat mein Bruder mir erzählt, was geschehen ist. Unglaublich!”, rief sie und sank aufs Bett. “Mir hätte dieser Unfall genauso passieren können, als ich neulich über die Brücke ging.”
“Sicher hätten Sie das Missgeschick besser überstanden, Kitty. Im Gegensatz zu mir können Sie schwimmen.”
“Es wäre trotzdem nicht einfach gewesen, mit all den Röcken das Ufer zu erreichen.”
“Hatten Sie beim Schwimmunterricht denn keine an?”, fragte Abbie verwirrt.
“Nein, da trug ich viel weniger Kleidung.” Sie lachte über Abigails sichtliche moralische Entrüstung. “Vergessen Sie nicht – er ist mein Bruder.”
Aber meiner nicht, dachte Abbie und verwarf den albernen Gedanken, Barton zu ersuchen, er möge ihr das Schwimmen beibringen. Wohlweislich wechselte sie das Thema und erkundigte sich nach Eugenies Verbleib.
“Oh, sie besucht Tante Clara. Mama war seit unserer Rückkehr aus Bath nicht mehr im Pfarrhaus. Wahrscheinlich wird sie zum Dinner bleiben. Ich habe sie nicht begleitet, weil ich die Gästeliste für die Geburtstagsparty aufstellen wollte.” Zu der Zofe gewandt, die gerade die schmutzige Kleidung vom Boden aufhob, mahnte Kitty: “Vergiss es bloß nicht, Rose, du darfst Mrs. Cavanagh nichts verraten.”
“Natürlich, Miss, ich werde daran denken”, versprach Rose. “Wie nett, dass hier endlich wieder ein großes Fest gefeiert wird! Miss Figg ist schon ganz aus dem Häuschen deswegen. Heute Morgen hörte ich sie sagen, sie müsse unbedingt die Menüs für das Dinner und das Souper mit Ihnen besprechen, Miss.”
“Dabei werden Sie mir doch helfen, Abbie?”, bat Kitty.
“Ja, gewiss”, stimmte Abigail zu. “Aber es genügt, wenn wir morgen mit der Köchin reden. Den ganzen Tag waren Sie im Haus. Wollen wir ausreiten?”
“Sehr gern. Das Dinner wird um eine Stunde verschoben, weil Barton den Schaden an der
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