Ein Gentleman wagt - und gewinnt
Brücke inspizieren will – also haben wir genug Zeit. Allerdings meinte er vorhin, Sie müssten sich ausruhen.”
Hin- und hergerissen zwischen ihrer Dankbarkeit für seine Besorgnis und ihrem Ärger über sein autoritäres Verhalten, zögerte Abbie kurz. “Nicht nötig. Treffen wir uns in einer halben Stunde vor dem Stall.”
Da Abbie nur ihren Morgenmantel mit dem Reitkostüm vertauschen musste, betrat sie den Stallhof schon vor dem vereinbarten Zeitpunkt. Josh machte sich sofort daran, die gescheckte Stute für sie zu satteln. Eifrig säuberte Tom, das jüngste Mitglied von Hackmans Personal, eine der Boxen, während Ben Dodd – wie üblich ungekämmt und unrasiert – einfach dastand, auf einen Besen gestützt, und spöttisch grinste.
Nicht zum ersten Mal ertappte Abbie ihn dabei, wie er seine Pflichten vernachlässigte. Sie wusste, dass der Oberreitknecht den Burschen nicht besonders schätzte. Diese Meinung teilte sie. Dodds Faulheit missfiel ihr ebenso wie sein schlechtes Benehmen.
Unglücklicherweise musste sie seine Anwesenheit hin und wieder ertragen, wenn sie mit Kitty ausritt, denn er war zum persönlichen Reitknecht des Mädchens ernannt worden. Was Kitty von ihm hielt, wusste Abbie nicht, denn ihre junge Freundin schien ihn gar nicht wahrzunehmen. Aber Abigail bemerkte viel zu oft ein lüsternes Glitzern in seinen Augen und gewann den Eindruck, dass er sich ausmalte, wie die beiden Damen ohne ihre Reitkleider aussehen mochten.
Nach diesem ereignisreichen Tag allerdings wollte sie ihn nicht um sich haben. Entschlossen sprach sie ihn an: “Sicher sind Sie nach Ihrer stundenlangen harten Arbeit müde, Dodd. Deshalb wird Josh uns heute begleiten.”
Zunächst dachte sie, er würde protestieren. Doch er zuckte desinteressiert die Achseln. “Wie Sie wünschen, Miss”, murmelte er und schlurfte davon.
Als Kitty mit ihr vom Hof ritt, schien sie gar nicht zu bemerken, dass ihnen ein anderer Stallknecht folgte. “Besuchen wir Lord und Lady Warren”, schlug sie vor. “Lady Warren ist meine Patentante, eine sehr freundliche Frau. Sicher wird sie wissen, wie wir die Party arrangieren können, ohne dass Mama etwas davon merkt.”
Damit sollte Kitty recht behalten. Lady Warren war entzückt über die unerwarteten Gäste und begrüßte ihre Patentochter liebevoll. “Selbstverständlich werde ich dir helfen, Liebes”, versicherte sie, nachdem sie erfahren hatte, worum es ging. “Bring mir die Einladungskarten. Dann werde ich sie absenden und zu jeder ein Briefchen mit der Bitte legen, die Antworten an mich zu schicken. Vermutlich werden alle Leute zusagen, nachdem so lange keine Gesellschaft auf Cavanagh Court stattgefunden hat.” Nun wandte sie sich zu Abigail. Fachkundig musterte sie das stilvolle Reitkostüm. “Sie sind also Kittys Freundin, Miss Graham? Sie müssen unbedingt mit uns dinieren, ehe Sie wieder abreisen.”
Ehe Abbie etwas sagen konnte, verkündete Kitty: “Wir haben erst vor Kurzem in Bath Freundschaft geschlossen. Aber Barton kennt Abbie schon sehr lange.”
“Ach, tatsächlich?” Erstaunt hob Lady Warren eine Braue.
Abigail wollte erklären, Barton Cavanagh sei der Patensohn ihres Großvaters und habe früher die Sommermonate oft auf dessen Landsitz verbracht. Doch dazu kam sie nicht, weil Lord Graham und zwei weitere Herren den Salon betraten. Der Ähnlichkeit nach zu urteilen, musste der eine der jüngeren Männer der Sohn Seiner Lordschaft sein. Indes war es der Anblick des geckenhaft gekleideten dritten Gentlemans, der sie verblüffte.
“Großer Gott!”, rief Kitty, die ihre Überraschung weniger erfolgreich verbarg als Abbie. “Was, um alles in der Welt, machst du denn hier, Cedric?”
Kein bisschen pikiert über diese nicht allzu höfliche Begrüßung, genoss es der junge Stutzer, im Mittelpunkt allgemeiner Aufmerksam zu stehen, und verkündete, er habe dieselbe Schule besucht wie Richard Warren. “Ricky und ich liefen uns in Bath zufällig über den Weg. Ich erklärte ihm, diese öde Stadt würde mir auf die Nerven fallen. Da war er so freundlich, mich hierher einzuladen.”
“Ist Mr. Asquith auch mitgekommen?” Diese Frage konnte sich Abbie nicht verkneifen, denn sie wusste, das würde Barton missfallen.
Zum Glück schüttelte Cedric den Kopf. “Er wollte lieber bei seiner Tante bleiben.”
Und einer reichen Erbin den Hof machen, ergänzte Abbie in Gedanken und vermutete, dass es Cedric zu langweilig geworden war, seinen Freund bei derartigen
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