Ein Gentleman wagt - und gewinnt
vor vier Jahren entwischt ist. Denn dann hat dieser Mann einen meiner Lieutenants ermordet – meinen besten Freund.”
“Ich verstehe, Major, und ich erwarte Sie in Cavanagh Court.”
Abbie trat von der Staffelei zurück, um ihr Werk zu begutachten. Zu Beginn dieser Woche hatte sie die Arbeit an dem Bildnis abgeschlossen. Seither betrat sie das Atelier eigentlich nur noch, um das Ergebnis ihrer Bemühungen zu studieren. Sie war zufrieden mit dem Gemälde und hoffte, es würde auch Barton gefallen.
Ja, es war ihr gelungen, jenen sanften Ausdruck einzufangen, den sein Gesicht zeigte, wenn er nicht direkt lächelte, indes irgendetwas erfreulich zu finden schien. Nun war es an der Zeit, das Porträt dem Auftraggeber zu präsentieren. Sie fragte sich, warum sie Barton nicht schon längst darüber unterrichtet hatte, dass es fertig sei.
Natürlich kennst du den Grund, mahnte ihr Gewissen. Sie hatte geglaubt und gewünscht, dass sie, wenn sie die Vollendung des Gemäldes geheim hielt, ihre Abreise ein wenig hinauszögern könnte. Aber Barton hatte erklärt, sie müsse Cavanagh Court am Freitag verlassen. Und sie wollte seine Gastfreundschaft nicht überstrapazieren.
Allein bei dem Gedanken an den Abschied krampfte sich ihr das Herz zusammen, und sie konnte ihre Augen nicht mehr vor der Wahrheit verschließen. Sie liebte dieses Haus – doch längst nicht so heiß und innig wie seinen Besitzer.
In der Tat, das Unvorstellbare war geschehen. Sie hatte sich hoffnungslos in den Mann verliebt, der ihr sechs Jahre lang so verachtenswert erschienen war. Welch eine Ironie … Entschlossen bekämpfte sie die Tränen, von denen sie wusste, dass sie ihre Seelenqualen ohnehin nur vorübergehend linderten. Die bittere Reue, die sie ihr Leben lang begleiten würde, konnten sie nicht verscheuchen. Hätte sie sich damals nicht so stolz und so prüde verhalten, wäre sie jetzt die Herrin dieses Anwesens – die Gefährtin eines Mannes, der weder ein Heiliger noch ein unverbesserlicher Sünder war und trotz seiner autoritären Art ein gütiges, rücksichtsvolles Wesen besaß. Und der wie kein anderer zu ihr passte …
Mit brennenden Augen starrte sie Bartons Porträt an, das sie – ohne es zu ahnen – voller Liebe gemalt hatte. Vielleicht würde es eines Tages in der Bibliothek hängen, über dem Kamin. Doch auch wenn sie es dort niemals zu sehen bekam – seine Züge, diesen ganz bestimmten Ausdruck, den er in ihrem Atelier so oft gezeigt hatte, würde sie für immer in ihrer Erinnerung bewahren.
Als sie Schritte im Flur hörte, hängte sie hastig ein Leinentuch über die Staffelei. Niemand sollte sie dabei ertappen, wie sie schmachtend vor dem Bild stand, die Augen voller Tränen. Weder ein Dienstbote noch der Hausherr persönlich. Nein, vor allem Barton durfte nicht herausfinden, was sie für ihn empfand. Sonst würde er sich womöglich verpflichtet fühlen, erneut um ihre Hand zu bitten. Und diesmal wäre sie in der Gefahr, seinen Antrag anzunehmen – ohne davon ausgehen zu können, dass er ihre Gefühle erwiderte. Denn sie war sich keineswegs sicher, wie er zu ihr stand.
Nachdem sie ihre Fassung zurückgewonnen hatte, verließ sie das Atelier und begab sich zu ihrer Patentante in den Salon, um die Rückreise nach Bath zu besprechen. Anschließend erklärte sie, sie wolle ausreiten.
Lady Penrose, die die Vorliebe ihrer Patentochter für den Pferdesport kannte, war weniger überrascht von Abbies Ansinnen als Josh, als seine Herrin im Stallhof erschien und ihn bat, ihr Pferd zu satteln.
Kurz danach führte er ihre Stute und einen Wallach aus dem Stall.
“Sie müssen nicht mitkommen, Josh”, protestierte sie. “Allzu lange werde ich nicht unterwegs sein, und ich habe nicht vor, das Gelände von Cavanagh Court zu verlassen. Wenn Sie zu tun haben – meinetwegen dürfen Sie Ihre Pflichten nicht vernachlässigen.”
“Das wäre der Fall, wenn ich Sie nicht begleite, Miss Abbie. Und ich möchte Mr. Cavanagh nicht verärgern, wo er mir doch eine feste Stellung angeboten hat.”
“Ich hörte davon, und ich freue mich für Sie, Josh. Hoffentlich werden Sie glücklich hier.”
“Ganz sicher, Miss. Das Anwesen ist es sehr schön, und man fühlt sich sofort heimisch.”
Sie wusste, was er meinte, und musste erneut ihre Tränen unterdrücken. Entschlossen wechselte sie das Thema und erklärte Josh, dass sie in den Wald reiten wollte, der zu Bartons Ländereien gehörte.
An diesem Augusttag herrschte drückende Hitze, und
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