Ein Gentleman wagt - und gewinnt
Abbie war dankbar, dass das Schatten spendende Laubdach sie vor der sengenden Sonne schützte. Nachdem sie eine Weile neben ihrem Reitknecht hergetrabt war, entdeckte sie plötzlich einen Pferdekarren, halb verborgen zwischen Bäumen. Auch Josh hatte das Gefährt bemerkt und äußerte die Vermutung, dass es vielleicht einem Landarbeiter gehörte, der Brennholz für die kalten Herbst- und Winternächte sammeln wollte. Abbie hätte zugestimmt, wäre ihr nicht die verdächtige Stille aufgefallen. Keine Menschenseele weit und breit … Und nirgendwo erklangen die Geräusche einer Axt oder einer Säge.
Von wachsender Neugier getrieben, ritt sie näher an das Fuhrwerk heran. Der beklagenswerte Zustand des armen Pferdes zwischen den Deichseln konnte ihr Unbehagen nicht mildern. Auf der Ladefläche lagen ein paar leere Säcke, die etwas verdeckten und die sie ohne Zögern hochhob. Beim Anblick der unheilvollen Eisenfallen erschrak Josh ebenso wie Abbie. “Der Allmächtige sei uns gnädig, Miss!”, platzte er heraus. “Niemals würde der Master dieses Teufelszeug auf seinem Grund und Boden aufstellen lassen!”
Trotz ihrer Bestürzung musste Abbie lächeln. Vor ein paar Monaten noch hätte sie lange und gründlich über eine passende Antwort nachgedacht. Doch jetzt bestätigte sie in entschiedenem Ton: “Ganz sicher nicht, Josh. Gewiss, die Ereignisse der letzten Zeit beunruhigen Mr. Cavanagh. Aber er würde nicht einmal daran denken, einen unschuldigen Menschen oder ein Tier mit derart barbarischen Geräten zu quälen. Wer hat diese Fangeisen hierhergebracht? Zu welchem Zweck? Sollen sie im Wald ausgelegt werden?”
Die Stirn grimmig gerunzelt, schwang Josh sich aus dem Sattel. “Am besten schaue ich mal nach, Miss. Vielleicht finde ich jemanden, der sich nicht in diesem Gebiet aufhalten dürfte.”
Abbie war einverstanden. “Seien Sie vorsichtig, Josh! Wir wissen nicht, wie viele dieser grauenhaften Vorrichtungen hier herumliegen.”
Sobald seine breitschultrige Gestalt zwischen den Baumstämmen verschwand, stieg Abigail von ihrem Pferd und eilte zu dem mageren Wallach, der vor den Karren gespannt war. Voller Mitleid hielt sie ihm den Leckerbissen hin, den sie nach dem Ausritt ihrer Stute hatte geben wollen. Offenbar halb verhungert, schnappte das Tier begierig danach. Während es kaute, streichelte sie seinen struppigen Hals. Das Pferd nahm das Zeichen ihrer Zuneigung hin, ohne auch nur die geringste Freude zu zeigen.
Vielleicht hat er in seinem elenden Leben noch keine Liebkosungen erfahren, dachte sie, und deshalb erkennt er nicht, was mit ihm geschieht.
Entsetzt schüttelte sie den Kopf. Wer mochte für den jammervollen Zustand der armen Kreatur verantwortlich sein? Sie würde es in Erfahrung bringen.
Als ein Zweig hinter ihr knackte, drehte sie sich um und erwartete ihren Reitknecht. Stattdessen sah sie sich Ben Dodd und seinem neuen Arbeitgeber gegenüber. Die Genugtuung in den dunklen Augen des älteren Mannes machte ihr Angst und bewog sie, eine Frage zu stellen, die sogar in ihren eigenen Ohren albern klang. “Was machen Sie hier?”
“Das wissen Sie doch”, erwiderte Dodds Kumpan und warf einen Blick auf die Fallen, die sie entdeckt hatte. Dann wandte er sich wieder zu ihr und musterte sie von Kopf bis Fuß. Ein unverschämtes Grinsen lag auf seinem Gesicht. “Wer hätte gedacht, dass uns so was Hübsches über den Weg laufen würde, Doddy? Aber ich war mir schon heute Morgen sicher – das ist mein Glückstag. Hab ich’s nicht gesagt, nachdem du mir einreden wolltest, wir müssten den Abmarsch der Soldaten abwarten, ehe wir wieder was gegen Cavanagh unternehmen?”
Da Abbie befürchtete, dass sie ihre Stute nicht erreichen würde, verzichtete sie auf einen sinnlosen Fluchtversuch. Irgendwie musste sie die gefährliche Situation überstehen, bis Josh zurückkehrte. Und so starrte sie Dodd durchdringend an. “Überlegen Sie, was passieren wird, wenn Mr. Cavanagh von Ihrem unrechtmäßigen Aufenthalt in seinem Wald erfährt. Immerhin haben Sie sich nicht im allerbesten Einvernehmen von Ihrem ehemaligen Herrn getrennt.”
Dodd zuckte gleichmütig die Achseln und überließ es seinem Spießgesellen, zu antworten.
“Ich schätze, der Major hat genug andere Sorgen, und deshalb wird er sich wohl kaum um ein paar Fangeisen kümmern.”
Der lüsterne Blick, mit dem er sie maß, beunruhigte Abbie nicht halb so sehr wie die Schlussfolgerung, die sie aus seinen Worten unweigerlich ziehen musste. Wenn
Weitere Kostenlose Bücher