Ein Geschenk der Kultur
metallenen Wind im Innern unserer liebesberauschten Köpfe; taumelnd auf der Leiter unserer Umwelt und trunken gestrauchelt über die Möglichkeiten der Sterne…
Ich merke, daß ich die Sterne anstarre, mit weit aufgerissenen und brennenden Augen. Ich reiße mich zusammen, wende den Blick mit Gewalt ab von der Ansicht draußen, widme mich wieder den Bildern in der Kamera.
Ich betrachte ein Gruppenfoto von der Orbitalstation. Bekannte, Freunde, Geliebte, Verwandte, Kinder; alle stehen da im Sonnenschein eines Spätsommertages, vor dem Hauptgebäude. Erinnerte Namen und Gesichter und Stimmen, Gerüche und Berührungen. Hinter ihnen erhebt sich – kurz vor der Fertigstellung, so wie er damals war – der neue Gebäudeflügel. Einiges von dem Holz, mit dem wir ihn errichtet haben, liegt noch im Garten, weiß und dunkelbraun auf dem Grün. Lächeln. Der Geruch von Sägemehl und das Gefühl, einen Hobel zu schieben; Hornhaut an den Händen und der Anblick und das Geräusch, wenn sich abgehobelte Holzspäne von der Klinge kringeln.
Wieder Tränen. Wie kann ich verhindern, daß ich sentimental werde? Ich habe damals all das nicht erwartet. Ich werde nicht fertig mit der Entfernung, die uns alle trennt, mit dieser schrecklich klaffenden Kluft langsam verrinnender Jahre.
Ich lasse weitere Bilder durchlaufen: Gesamtansichten der Orbitalstation, ihre Felder und Städte und Meere und Berge. Vielleicht kann man letzten Endes alles als Symbol betrachten; vielleicht können wir mit unserer beschränkten Auffassung gar nicht anders, als Ähnlichkeiten zu entdecken, Analogien, Talismane… Doch diese nach innen gerichtete Scheibe im Orbit sieht für mich jetzt falsch aus, hier unten, so weit weg und in der Einsamkeit. Diese Kugel eines gewöhnlichen, weichen, zufälligen Planeten erscheint mir wie Schneide und Rücken einer zwillingshaften diamantenen Gründlichkeit, während unseren klugen, fleißigen kleinen Orbitalstationen diese grundlegende Realität fehlt.
Ich wünschte, ich könnte schlafen. Ich würde gern schlafen und alles vergessen, aber ich kann nicht, obwohl ich immer noch müde bin. Der Anzug kann mir in dieser Hinsicht auch nicht helfen. Ich kann mich nicht einmal mehr ans Träumen erinnern, als ob auch diese Einrichtung zerstört wäre.
Vielleicht bin ich das künstliche Wesen, und nicht der Anzug, der gar nicht versucht, etwas vorzutäuschen. Man hat mir nachgesagt, ich sei kalt, was mich verletzt hat; was mich immer noch verletzt. Ich kann nicht mehr tun, als soviel zu fühlen, wie es mir möglich ist, und mich damit zu trösten, daß man nicht mehr verlangen kann.
Ich wende mich gequält ab, will die verräterischen Sterne nicht mehr sehen. Ich schließe die Augen, sperre mein Denken gegen ihre erinnerungsträchtige Erforschung und versuche zu schlafen.
»Aufwachen!«
Ich bin sehr verschlafen, mein ganzer Rhythmus ist durcheinander; ich bin noch immer müde.
»Zeit zum Aufbruch, los!«
Ich komme zu mir, reibe mir die Augen und atme durch den Mund, um den schalen Geschmack darin loszuwerden. Das Morgengrauen wirkt kalt und vollkommen, sehr dünn und weit durch diese unwirtliche Gasschicht. Und der Hang ist natürlich immer noch da.
Der Anzug ist mit Marschieren an der Reihe, also kann ich mich weiterhin ausruhen. Wir ordnen die Beine und Arme neu und lassen die Luft aus dem Brustkorb. Der Anzug steht auf und setzt sich in Bewegung, wobei er mich um die Waden und die Taille faßt, um meine pochenden Füße von der Masse meines Gewichts zu entlasten.
Der Anzug marschiert schneller als ich. Er schätzt, daß er nur noch etwa zwanzig Prozent mehr Kraft hat als ein durchschnittlicher Mensch. Das ist so etwas wie ein Abstieg für ihn. Schon das Laufen an sich muß für ihn etwas sehr Verdrießliches sein (sofern er Verdruß empfinden kann).
Wenn doch nur das AG-System funktionieren würde! Dann könnten wir die ganze Strecke in einem einzigen Tag zurücklegen. In einem Tag!
Wir schreiten über die ansteigende Fläche, auf den Rand zu. Langsam verschwinden die Sterne, einer nach dem anderen, durch das Licht der Sonne vom weiten Himmel weggewaschen. Der Anzug legt etwas an Geschwindigkeit zu, als das Licht direkter auf seine geriffelten Fotopaneele fällt. Wir halten an und kauern uns für einen Moment nieder, um einen verfärbten Stein zu untersuchen; es wäre ja möglich, wenn wir so etwas wie Oxid fänden…, aber dieser Stein enthält nicht mehr eingefangenen Sauerstoff als die übrigen, und wir
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