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Ein Geschenk der Kultur

Ein Geschenk der Kultur

Titel: Ein Geschenk der Kultur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Banks
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nach landenden Feinden hält. Sollten wir einfach ihrer Aufmerksamkeit entschlüpft sein? Das erscheint unmöglich.
    Ich widme mich erneut meinen Fotos. Eine Auswahl von hundert erscheint gleichzeitig im Betrachter. Ich drücke auf eins, und es wird groß und füllt den Bildschirm mit Erinnerungen.
    Ich streiche mir über den Kopf und frage mich, wie lang meine Haare wohl wachsen werden. Ich habe die blödsinnige, aber irgendwie beängstigende Vision, meine Haare könnten so lang wachsen, daß sie mich würgen, daß sie den Helm und den Anzug ausfüllen und das Licht ausschließen und mich schließlich ersticken. Ich habe gehört, daß Haare nach dem Tod weiterwachsen, ebenso die Nägel. Ich staune, daß ich bis jetzt – trotz einer oder zweier Fotografien und den damit verbundenen Erinnerungen – noch keine sexuelle Erregung gespürt habe.
    Ich kringele mich zu einer fötalen Stellung zusammen. Ich bin mein eigener kleiner nackter Planet, innerhalb meiner Umgebung aus abgestandener Luft auf das Primitivste beschränkt. Ein winziger heimischer Mond, in einem sehr niedrigen, trägen, wandernden Orbit.
    Was tue ich hier?
    Es ist, als ob ich in diese Situation abgetrieben worden wäre. Mir ist noch nie auch nur der Gedanke gekommen, zu kämpfen oder irgend etwas Gefährliches zu tun, nicht bevor der Krieg ausbrach. Ich sah damals ein, daß er nötig war, daß er als das Naheliegende erschien; alle waren dieser Ansicht, jedenfalls alle meine Bekannten. Und sich freiwillig zu melden, voller Überzeugung teilzunehmen, auch das erschien… natürlich. Ich wußte, daß ich dabei sterben könnte, aber ich war bereit, dieses Risiko einzugehen; es hatte fast etwas Romantisches. Irgendwie ist es mir nie in den Sinn gekommen, daß damit auch Entbehrungen und Leiden verbunden sein könnten. Bin ich ebenso dumm wie jene, die es in der Geschichte immer gegeben hat – und die ich stets verachtet und bemitleidet habe –, die fröhlich in den Krieg marschieren, den Kopf voll edler Gedanken und der Erwartung eines leichten Ruhms, nur um schreiend und zerfetzt im Dreck zu sterben?
    Ich habe mir eingebildet, ich sei anders. Ich habe mir eingebildet, ich wüßte, was ich tue.
    »Was denkst du?« wollte der Anzug wissen.
    »Nichts.«
    »Oh.«
    »Warum bist du hier?« fragte ich ihn. »Warum warst du einverstanden, mit mir zu kommen?«
    Der Anzug – offiziell genauso klug wie ich und mit ähnlichen Rechten ausgestattet – hätte seiner eigenen Wege gehen können, wenn er es vorgezogen hätte. Er brauchte nicht in den Krieg zu ziehen.
    »Warum hätte ich nicht mit dir kommen sollen?«
    »Aber was hast du davon?«
    »Was hast du davon?«
    »Aber ich bin ein Mensch, ich bin gegen solche Gefühle machtlos. Ich möchte von dir wissen, was deiner Meinung nach die Entschuldigung der Maschinen ist.«
    »Ach, komm, du bist auch eine Maschine. Wir beide sind Systeme, wir sind beide mit einem Empfindungsvermögen ausgestattet. Wieso glaubst du, wir hätten bezüglich unserer Denkweise eher die Möglichkeit der Wahl als ihr? Oder warum sollt ihr sie nicht haben? Wir sind alle programmiert. Wir alle haben unser Vermächtnis. Ihr tragt daran etwas schwerer als wir, und es ist chaotischer, aber das ist auch schon alles.«
    Es gibt eine Redewendung, die besagt, daß wir den Maschinen einen Zweck liefern, und sie liefern uns die Mittel. Ich habe den undeutlichen Eindruck, daß der Anzug im Begriff ist, dieses altehrwürdige Sprichwort zu widerlegen.
    »Machst du dir wirklich Sorgen um das, was im Krieg geschieht?« frage ich ihn.
    »Natürlich«, antwortet er, und es hört sich beinah so an, als ob ein Lachen in seinem Ton mitschwingt. Ich lege mich zurück und kratze mich. Ich werfe einen Blick auf die Kamera.
    »Ich habe eine Idee«, sage ich. »Wie wäre es, wenn wir ein sehr leuchtendes Bild heraussuchten und es im Dunkeln hin und her schwenkten?«
    »Du kannst es ja versuchen, wenn du willst.« Der Anzug klingt nicht sehr ermutigend. Ich versuche es trotzdem, und irgendwann wird mein Arm vom Schwenken der Kamera müde. Ich lasse sie an einen Stein angelehnt stehen, so daß sie in den Raum hinaus leuchtet. Es wirkt in dieser toten und staubigen Dunkelheit sehr einsam und fremd, dieses Bild von einem sonnigen Orbittag, mit Himmel und Wolken und glitzerndem Wasser, glänzenden Schiffsrümpfen und großen Segeln, flatternden Fahnen und sprühender Gischt. Ganz so leuchtend ist es übrigens nicht; ich vermute, reflektiertes Sternenlicht ist nicht viel

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