Ein Geschenk der Kultur
gewisse Dinge, aber sie sind nicht gläubig. Das ergibt sich erst durch die Unterwerfung unter die Macht göttlicher Offenbarung.«
»Weil mir also das abgeht, was ich für Aberglaube halte, weil ich der Ansicht bin, daß wir nur zufällig existieren, und an… die Wissenschaft, die Evolution glaube, was auch immer, bin ich nicht so… wertvoll wie jemand, der an ein altes Buch und einen grausamen, alleingelassenen Gott glaubt? Tut mir leid, Mo, aber nicht mit mir; Christus und Mohammed waren beide lediglich Menschen; charismatisch, in verschiedener Hinsicht begnadet, aber dennoch schlichtweg sterbliche menschliche Wesen, und die Gelehrten und Mönche und Apostel und Historiker, die über sie geschrieben oder über ihre Gedanken und ihr Leben berichtet haben, waren durchaus inspiriert, aber nicht von Gott, sondern von etwas in ihrem Innern, etwas, das jeder Schriftsteller…, genauer gesagt, jeder Mensch hat. Mo; denk an die Definition: wo das Wissen aufhört, fängt der Glaube an. Das kann ich nicht hinnehmen. Nun, es stört mich nicht, daß du es kannst, warum stört es dich dann so sehr, daß ich so denke, wie ich denke, oder daß Salman Rushdie denkt, wie er denkt?«
»Außer Zweifel steht, daß Ihre Seele nur Sie allein etwas angeht, Mr. Munro, und Rushdie die seine. Blasphemisch zu denken bedeutet, die Sünde auf die eigene Person zu beschränken, sich aber in der Öffentlichkeit blasphemisch zu äußern, ist ein bewußter Angriff auf all jene, die glauben. Es ist eine Vergewaltigung unserer Seelen.«
Kannst du dir das vorstellen? Dieser Knabe steht vor einem Einser-Examen; sein Vater ist Astrophysiker, herrje! Mo wird wahrscheinlich selbst einmal Dozent sein (er fängt seine Sätze jetzt schon mit ›außer Zweifel steht‹ an; du liebe Güte, viel fehlt ihm sowieso nicht mehr dazu). Wir schreiben fast das Jahr 1989, aber von den finstersten Zeiten des frühen Mittelalters trennen uns nur die Dicke eines Buches, nur die Dicke eines Schädels, nur das Umblättern einer Seite.
Es findet also eine Diskussion statt, während die blattlosen Bäume und die kalten braunen Felder vor der Doppelscheibe des Waggons vorbeiziehen und das unvermeidliche quengelnde Kind irgendwo plärrt.
Aber was sagst du dazu? Ich fragte ihn, was er von der Sache mit den Jugendlichen halte, die auf ihren Hondas kreuz und quer durch die Minenfelder fuhren, um den Weg für die Iranische Armee zu säubern, ohne Rücksicht auf eigene Verluste. Für mich ist das Wahnsinn. Für Mo? Vielleicht Irreführung, vielleicht Mißbrauch, aber dennoch etwas Ruhmreiches. Ich erklärte ihm, daß ich zwar Die Satanischen Verse nicht gelesen hatte, den Koran aber sehr wohl und ihn fast ebenso absurd und widerlegbar wie die Bibel fand… Und danach wurde ich ein wenig laut, während Mo sehr leise und verschlossen und einsilbig wurde, und einer der anderen mußte mit besonnenen Worten zwischen uns schlichten. (Zufall: Ich habe die Penguin-Ausgabe des Koran gelesen – herausgegeben von einem Juden, wie Mo behauptet, und ebenfalls unheilig, weil sie die Abschnitte in der falschen Reihenfolge bringt – und Viking, wo Die Satanischen Verse erschienen sind, gehört derselben Verlagsgruppe an… ein fruchtbarer Boden für eine Verschwörungs-Theorie?)
Später gaben Mo und ich einander die Hand, doch der Tag war verdorben.
Eine gute Stelle für eine Pause. Unser Flug ist gerade aufgerufen worden.
Hallo, noch mal. Also, hier bin ich wieder, eine Bloody Mary in der einen Hand, den Kugelschreiber in der anderen, und Rushdies Buch dient als Schreibunterlage. Auf der einen Seite habe ich den Gang, auf der anderen einen freien Sitzplatz, ich kann mich also ausbreiten (die Schuhe habe ich bereits ausgezogen). Es ist weniger los, als ich um diese Jahreszeit erwartet hätte. Jacksonville, ich komme! (Ich schätze, wenn es Harvard gewesen wäre, hätte man mir ein Ticket der Business Class bezahlt, aber man kann nicht alles haben.)
Richtig. Die Zufälle, von denen ich sprach. Ich habe also in der Abflug-Lounge mit der Lektüre der Satanischen Verse angefangen, und wie geht es da los? Mit zwei Typen, die durch die Luft fallen, nachdem der Jumbo-Jet, mit dem sie unterwegs waren, explodiert war. Großartig. Ich meine, ich bin beim Fliegen nicht besonders nervös oder so, aber so etwas möchte man nicht unbedingt vor dem Besteigen eines Flugzeuges lesen, habe ich recht? Das ist also der eine Fall. Dazu die beiden anderen Beispiele; eine Reise und eine
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