Ein Geschenk der Kultur
Großteil der Zeit verbrachte ich überdies damit, einfach nur herumzuspazieren und die Leute zum Plaudern zu bringen. Ich erledigte alles pflichtgetreu, obwohl es nicht immer so leicht und wenig anstrengend war, wie es sich vielleicht anhört; aufgrund der merkwürdigen Sexualmoral der Einheimischen geriet eine Frau manchmal in ziemlich peinliche Situationen, wenn sie einfach einen Mann ansprach. Ich vermute, wenn ich nicht gute zehn Zentimeter größer gewesen wäre als der Durchschnitt der Männer, hätte ich bestimmt noch mehr Schwierigkeiten gehabt, als es so schon der Fall war.
Mein anderes Problem war das Schiff an sich. Es versuchte andauernd, mich dazu anzutreiben, so viele Orte wie möglich zu besuchen, so viel zu erledigen, wie ich nur eben schaffte, mich mit so vielen Leuten zu unterhalten, wie ich nur konnte. Sieh dir das an, hör dir jenes an, triff dich mit der, sprich mit dem, besichtige diese, trage jenes… Das Schlimme war nicht so sehr, daß es so viele verschiedene Dinge von mir verlangte – es kam selten vor, daß das Schiff etwas von mir forderte, was ich nicht ohnehin gerne tat –, sondern daß das verdammte Ding wollte, daß ich ständig etwas tat. Ich war seine Botschafterin in der Stadt, sein menschliches Tentakel, eine Wurzel, durch die es mit aller Kraft Dinge aufsog und jenes anscheinend bodenlose Loch zu speisen versuchte, das es sein Gedächtnis nannte.
Ich machte Ferien von den Strapazen, und zwar an abgelegenen, unberührten Stellen: an der Atlantikküste Irlands und den Hochebenen Schottlands und Islands. In County Kerry, in Galway und Mayo, in Wester Ross und Sutherland und Mull und Lewis trödelte ich herum, während das Schiff versuchte, mich mit Drohungen und Schmeicheleien und die Verheißung vieler interessanter Aufgaben zurückzuholen.
Doch Anfang März war meine Mission in London beendet; ich wurde nach Deutschland geschickt, wo ich mich überall umsehen sollte. Ich bekam den Auftrag, hierhin und dorthin zu reisen und mich treiben zu lassen, und ich bekam ein paar Informationen über einige Orte und Daten und Dinge, die ich tun oder ansehen und über die ich nachdenken sollte.
Nachdem ich nun Englisch nicht mehr sprach, ergab es sich, daß ich anfing, aus reiner Freude Werke in dieser Sprache zu lesen, und mit dieser Beschäftigung verbrachte ich meine spärlich bemessene Freizeit.
Das Jahr nahm seinen Lauf, allmählich wurde der Schnee weniger, die Luft erwärmte sich, und nach Tausenden und Abertausenden von Kilometern, die ich auf Straßen und Schienen zurückgelegt hatte, und nach unzähligen Hotelzimmern, wurde ich Ende April aufs Schiff zurückbeordert, damit ich ihm über meine Gedanken und Gefühle berichtete. Das Schiff strengte sich nach Kräften an, die Stimmung des Planeten zu erfassen, sich jenen Eindruck zu verschaffen, für den nur direkte zwischenmenschliche Beziehungen das Rohmaterial liefern können. Es sortiere seine Daten, ordnete sie neu, mischte sie nach dem Zufallsprinzip und sortierte wieder, suchte nach Mustern und Regeln und versuchte, alle Empfindungen, denen seine menschlichen Agenten ausgesetzt gewesen waren, einzuschätzen und abzuwägen und sie in Relation zu setzen zu seinen eigenen Schlüssen, zu denen es gekommen war, während es durch einen Ozean von Fakten und Zahlen schwamm, die es sich bereits über diese Welt beschafft hatte. Unsere Arbeit war damit natürlich keineswegs beendet, und ich und all die anderen, die sich auf dem Planeten aufgehalten hatten, würden noch einige Monate dort verbringen, aber jetzt war es zunächst einmal an der Zeit, die ersten Eindrücke zu übermitteln.
2.2: Ein Schiff mit Aussicht
»Du bist also der Ansicht, wir sollten den Kontakt aufnehmen, ja?«
Ich lag schläfrig und zufrieden und satt nach einem ausgiebigen Abendessen ausgebreitet auf einer gepolsterten Liege in einem Ruhebereich mit gedämpftem Licht; die Füße hatte ich auf die Armlehne eines Sessels gelegt, die Arme verschränkt und die Augen geschlossen. Ein sanfter, warmer Luftzug, entfernt alpin duftend, löste den Geruch der Speisen ab, die ich zusammen mit einigen Freunden verzehrt hatte. Sie hatten sich alle verzogen, um in einem anderen Teil des Schiffes irgendein Spiel zu spielen, und ich hörte leise ihre Stimmen neben der Bach-Musik, die zu mögen ich dem Schiff eingeredet hatte und die es jetzt für mich erklingen ließ.
»Ja, das tue ich. Und zwar sollte das so bald wie möglich geschehen.«
»Es würde sie
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