Ein Geschenk für den Boss Kommissar Morry
Nähe des Hotels gesehen."
„Wer ist Mr. Jesse?"
„Der Hoteldetektiv."
„Kann er sich nicht geirrt haben?"
„Nein."
„Was beweist das schon? Raoul geht nicht gern früh ins Bett. Er hat noch ein bißchen Luft schnappen wollen."
„Können Sie mir verraten, weshalb er dann dem Portier im Manchester auftrug, ihn nicht zu stören? Offenbar versuchte er doch den Eindruck zu erwecken, daß er im Hotel war und zu schlafen beabsichtigte."
„Vielleicht hatte er das auch vor?"
„Schon möglich. Aber da ist noch ein Punkt. Crosley hat vor seinem Tod davon gesprochen, daß Raoul die Absicht habe, ihn zu töten."
„Raoul sollte es auf Crosleys Leben abgesehen haben?" fragte Martineux mit bebenden Lippen. „Das halte ich für ausgeschlossen. Nein, das ist unmöglich!"
„Sind Sie dessen so sicher?"
„Ich glaube ja", meinte Martineux leise.
„Sie sehen plötzlich sehr blaß aus, Mr. Martineux", stellte Clive fest.
Der Markier hob das Kinn. „Ist das ein Wunder?" rief er erregt aus. „Jetzt unterstellen Sie meinem Sohn zum zweiten Male ein Verbrechen, das er unmöglich begangen haben kann!"
„Welche Geschäfte verbanden Sie mit Crosley?" fragte Clive.
„Himmel! Können Sie nicht beim Thema bleiben?"
Clive lächelte maliziös. „Ich bleibe beim Thema. Das alles gehört dazu."
„Sie sollten sich schämen, mich in dieser Weise zu quälen. Wer glauben Sie denn zu sein? Vergessen Sie bitte nicht, wer Ihnen gegenüber sitzt. Ich habe viel durchmachen müssen — erst der schreckliche Anschlag auf Angelique, dann der unsinnige Verdacht, der meinen Sohn mit den Schüssen in Verbindung bringen wollte, und nun abermals neue Anschuldigungen! Raoul ist mein Sohn! Spüren Sie gar nicht, was Sie mir mit Ihren Worten antun?"
Clive wollte etwas sagen, bremste sich aber in letzter Sekunde. „Sie können gehen", sagte er.
Philippe Martineux erhob sich zögernd. Dann machte er abrupt auf dem Absatz kehrt und ging hinaus.
Nachdem sich die Tür hinter dem Makler geschlossen hatte, fragte Wynn überrascht: „Stimmt das mit Raoul? Ich wußte nicht, daß er von Jesse gesehen worden ist."
Clive nickte. „Ja, es stimmt."
„Warum lassen Sie Raoul nicht festnehmen?"
„Ich glaube nicht, daß er es war. Da traue ich eher dem Alten eine Verzweiflungstat zu."
„Wer kommt jetzt dran? Wir müssen noch Crosleys Leute vernehmen, außerdem den Etagenkellner und —"
„Ich mache für heute Schluß", sagte Clive plötzlich und stand auf. „Trauen Sie sich zu, den Rest der Arbeit zu erledigen?"
„Ja, natürlich", meinte Wynn erstaunt. „Was haben Sie denn noch vor?"
„Einen Abendspaziergang, nichts weiter."
19
Clive ging langsam die Strandpromenade entlang. Er betrachtete Miami bei Nacht. Das Rauschen des Windes in den Palmen, das Murmeln der Wellen, die vielstöckigen Hotelpaläste mit ihrem Sternennetz erleuchteter Fenster, die knalligen Leuchtreklamen, die großen, mit surrenden Reifen über den Asphalt rollenden Wagen, die heiteren Menschen, die Musik, der Alkohol und das Lachen. Und das Verbrechen. Das Laster.
Gelegentlich kamen ihm ein paar Nachtbummler entgegen. Dann ließ er das Hotelviertel hinter sich. Jetzt folgten die Motels, die Pensionen, die Wohnbungalows. Die Gebäude folgten immer dichter aufeinander; sie schoben sich zwischen die Straße und den Strand. Clive rauchte eine Zigarette. Er ging nicht sehr schnell. In seinen Bewegungen lag etwas von der Wachsamkeit einer Katze. Er wußte, daß es gefährlich war, allein über die Straße zu gehen. Falls einer der Verhörten der Täter war, konnte es sein, daß der Betreffende sich zum Äußersten entschlossen hatte.
Clive wartete darauf. Aber niemand schien ihm zu folgen.
Bei jedem Wagen, der sich ihm von hinten näherte und langsam vorüberrollte, strafften sich unwillkürlich seine Muskeln. War es nicht Wahnsinn, sich einem verzweifelten Mörder als lebende Zielscheibe zu produzieren? Oder fühlte der Bombenwerfer sich bombensicher? Clive zuckte leicht zusammen, unmerklich. Er wußte plötzlich, daß es soweit war. Oder bildete er sich das nur ein? Fest stand, daß jemand hinter ihm war. Ein Jemand in leichten Schuhen mit Gummisohlen. Ein Jemand mit raschen, elastischen Schritten. Die Schritte kamen näher.
Clive blieb stehen und wandte sich mit einem Ruck um. „Hallo", sagte er. „So spät noch unterwegs?"
Raoul Martineux zuckte zusammen, als hätte er eine Ohrfeige empfangen. Er trug Shorts, ein rotes Sporthemd und Tennisschuhe mit
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