Ein Geschenk von Tiffany
mit Claudes Telefonnummer versteckt hatte und sie daher nicht hatte absagen können. Was sie wirklich wollte, war, stöhnend im Bett zu liegen, später ein heißes Bad zu nehmen und sich danach eine Ganzkörpermassage zu gönnen. Tatsächlich wäre sie fast in Tränen ausgebrochen, als sie Anouk ihre Reservierung im Hamam hatte machen hören.
Sie warf einen neuerlichen Blick auf die Adresse und seufzte genervt. Wo war bloß dieses gottverdammte Haus? Es konnte nicht an ihrem Kater liegen. Sie konnte schließlich noch zählen. Aber diese Hausnummern schienen von elf auf fünfzehn zu springen. Nirgends eine Nummer dreizehn.
Auf der gegenüberliegenden Straßenseite ging ein alter Mann in einem marineblauen Regenmantel und einem Trilby-Hut vorbei, ein Baguette in einer Papiertüte unter dem Arm, die Zeitung unter dem anderen. Cassie beeilte sich, die Straße zu überqueren.
» Excusez-moi, monsieur … wissen Sie vielleicht, wo ich diese Hausnummer finde?«
Der Mann musterte den zerknitterten Zettel, den sie ihm hinhielt – eine Reinigungsquittung, auf die sie die Adresse gekritzelt hatte. Er holte seine Brille raus und versuchte ihre Schrift zu entziffern.
»Oh, là là. C’est là-bas« , sagte er schließlich und deutete auf eine schmale Gasse neben dem Haus, vor dem sie gerade gestanden hatte. Cassie hatte die Gasse nicht bemerkt, weil davor ein Scooter an die Regenrinne des Hauses gekettet stand und den Zugang versperrte.
»Ach, danke! Vielen Dank!«, sagte Cassie und sprang wieder über die Straße. Sie schob sich in die Gasse, die höchstens sechs, sieben Meter lang war. Nichts war darin, außer ganz hinten eine schwarze Notausgangstür, die sich nur von innen öffnen ließ, und darüber eine Feuerleiter. Sie suchte nach einem Namensschild, nach einer Hausnummer. Nichts. Aber das musste es sein. Was anderes gab’s hier nicht.
Sie wollte gerade die Hand heben, um anzuklopfen, als von drinnen Stimmen herausdrangen. Viele Stimmen. Sie war gerade rechtzeitig zurückgewichen, als auch schon die Tür aufflog und eine Horde Japanerinnen herauskam, schwatzend, mit Fotoapparaten um den Hals. Ihnen folgte eine schmale großgewachsene Frau mit ebenholzschwarzer Haut und einem einschüchternden Afro, dahinter ein Mann mittleren Alters mit einem grauen Schnurrbart. Als Letzter trat ein wahrer Hüne von einem Mann heraus, mit dunklen Haaren und schwarzen Augen.
»Wartet hier!«, bellte er und gab einen Alarmcode in eine Schalttafel drinnen neben der Tür ein. Alle blieben gehorsam stehen, auch wenn die Japanerinnen – es waren nur zwei, wie Cassie jetzt feststellte – ungerührt weiterzwitscherten.
»Oh, entschuldigen Sie, aber ich muss da rein!«, sagte Cassie und sprang erschrocken vor.
»Wer bist du denn?«, fragte der Fremde grob. Er sah nicht nur aus wie ein Bär, er benahm sich auch wie einer. Er musterte sie von oben bis unten. Cassie hatte eine Bluejeans an und dazu ihre Moncler-Jacke, die Luke ihr geschenkt hatte. Sie hatte es bisher nicht übers Herz gebracht, sie anzuziehen, aber der Winter wollte nicht weichen, und der Fahrtwind auf dem Fahrrad war bitterkalt.
Cassie ärgerte sich über seine grobe Art. »Ich bin auf der Suche nach Claude«, antwortete sie, ohne auf seine Frage einzugehen.
»Ich bin Claude«, verkündete er so pompös, als hätte er »Ich, Claudius« gemeint.
»Ach!« Cassie riss erstaunt die Augen auf. Das war Pech. »Ja, also – hallo!« Sie bot ihm mit einem zittrigen Lächeln ihre Hand. »Ich bin Cassie.«
Er ignorierte ihre Hand. »Du hast dich mordsmäßig verspätet.«
»Ja.« Sie ließ gekränkt ihre Hand sinken. Bei dem entschuldigte sie sich nicht! Sie stemmte die Hände in die Hüften und beschloss, den Spieß umzudrehen. »Ich konnte die Hausnummer nicht finden.«
Er guckte böse.
»Und jetzt – wolltet ihr gerade gehen?«
»Tja, noch länger hätten wir nicht auf dich warten können«, sagte er sarkastisch. Drehte sich um und ging.
Cassie starrte ihm verblüfft nach. »Wie? Wer wir?«
Er trat aus der Gasse und bog ab. Cassie warf die Hände in die Luft. Na toll! Und was sollte sie jetzt tun? Hinter ihm herrennen? Oder ihn mit seinem Gefolge ziehen lassen?
Da stand sie nun, in der verlassenen Gasse. Weiter vorne, auf der Straße, gingen gelegentlich Passanten vorbei. Sie schaute auf ihre Uhr. Jetzt war sie eine Dreiviertelstunde zu spät dran. Und er war ein Freund von Henry. Wenn Henry ihn auf die Liste setzte, musste ja irgendwas an ihm dran sein. Sicher
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