Ein Geschenk von Tiffany
chaotisch, mit bunten, chaotischen, lebenslustigen Bewohnern. All das, was ihr Leben nicht war: Sie war wurzellos, ohne Heim, ohne Ziel. Überstürzt war sie aus Paris geflohen, hatte beide Möglichkeiten, das Jobangebot bei Dior und ihre künftige Tätigkeit bei C. et C., hinter sich gelassen, ja nicht einmal darüber nachdenken können, wie es nun mit ihr weitergehen sollte. Sie wusste nur eins: dass sie nicht in Paris bleiben konnte. Zu viel war schiefgegangen, Träume waren zerplatzt. Claude war tot, und eine ihrer ältesten Freundinnen hatte sich als vollkommen Fremde entpuppt. Es gab nichts mehr, das sie hätte halten können.
»Ich nehme nicht an … dass Henry vielleicht was für mich hinterlassen hat?«, drückte sie hervor. Sie hasste sich dafür, dass sie überhaupt fragte. Dabei hatte sie sich so fest vorgenommen, Henrys Einfluss ein für alle Mal abzuschütteln.
»Was denn?«, fragte Suzy zerstreut. Sie machte sich gerade ein paar Notizen in ein Büchlein.
»Weiß nicht. Eine Liste? Oder … ein Päckchen Samen?«
Suzy sah auf. »Kamille, meinst du?«
»Na ja, nicht ganz. Er schickt mir jedes Mal was anderes.«
»Neue Stadt, neues Unkraut?«, fragte Suzy belustigt.
Cassie verdrehte die Augen. »Das letzte war, glaube ich, kein Unkraut. Das waren irgendwelche rosa Knöspchen – kleine Blümchen. Irgendwie buschig.«
»Buschige Blümchen?« Suzy schüttelte den Kopf. »Also, mein Bruder hat’s echt drauf. Rock ’n’ Roll! Der weiß, was Frauen wollen.«
Darauf ging Cassie nicht ein. »Du weißt also nicht, was es sein könnte?«
»Nee.« Suzy schüttelte den Kopf.
»Suzy! Deine Mutter ist Gärtnerin!«
Suzy legte ihren Stift beiseite und tätschelte ihren Bauch. »Aber ich nicht. Ich bin höchstens Cupcakes Punching Bag.« Sie grinste. »He, Kleiner, bist heute aber besonders gut drauf, was?« Sie sah einen Stapel Bücher durch, der neben dem Tisch stand und so hoch war, dass er als fünftes Tischbein hätte dienen können. Sie zog eine dicke Schwarte heraus. »Da, schau mal rein.«
Cassie hüpfte von der Anrichte und nahm es. Es war ein dicker Bildband, ein Pflanzenlexikon. Langsam blätterte sie darin herum, wurde aber nur verwirrter. Hunderte von Pflanzen und Blumen, die so ähnlich aussahen wie das, was in ihrem Topf wuchs.
»Wozu braucht man denn so viele fast identische Blumen?«, brummelte sie frustriert, doch dann fand sie, was sie suchte. »Da! Die sehen genau aus wie meine.«
Suzy hob den Kopf und las den auf dem Kopf stehenden englischen Namen. » Sweet Alyssum . Hm.«
»Je gehört?«, fragte Cassie hoffnungsvoll.
»Ist das nicht Steinkraut?« Suzy widmete sich wieder ihren Notizen.
»Keine Ahnung. Aber ich bin ziemlich sicher, dass es das ist.«
»Ja? Und was hat’s für eine Bedeutung?«
Cassie seufzte. »Wenn ich das wüsste! Keine Ahnung, warum er sie mir geschickt hat. Könntest du ihn nicht fragen? Mir sagt er ja nichts. Ich meine, diese Listen, die sollen einem den Zugang zu einer neuen Stadt erleichtern, aber – was hat Kamille mit New York zu tun und … äh … Sweet Alyssum mit Paris?«
Suzy verzog konzentriert das Gesicht. »Vielleicht … vielleicht wusste er ja, dass du bei Kelly keine anständige Tasse Tee … und dass … nö, tut mir leid.« Sie ließ die Schultern hängen. »Keine Ahnung, was hinter Bruderherz’ Stirn vor sich geht.«
»Bizarr, oder? Und er hat mir keine Liste oder ein Päckchen mit Samen hinterlassen?«
»Na ja, du hast doch gesagt, du willst nicht kommen …«
Cassies Augen wurden zu Schlitzen. »Hab ich’s doch gewusst! Ich bin dir unwillkommen! Ich bin dir eine Last und …«
»Ach, halt die Klappe! Natürlich bist du mir keine Last, du dummes Gänschen. Ich freu mich doch, dass du da bist! Ich freu mich riesig. Das wollte ich doch die ganze Zeit schon.« Sie grinste triumphierend. »Endlich darf ich mal mit der Cassie-Puppe spielen.«
Cassie wurde nervös. »Was meinst du damit?«
»Komm, zieh dich an.«
»Nein, ich …«
»Zieh dich an! Auf geht’s.« Suzy erhob sich von ihrem Stuhl wie eine stattliche Galeone unter vollen Segeln.
»Auf geht’s? Wohin?«
Suzy tätschelte Cassies Arm. »Ahnst du das nicht?« Sie zwinkerte ihr schelmisch zu.
39. Kapitel
Cassie musterte sich misstrauisch im Spiegel. Die Friseurin vollführte hinter ihr akrobatische Kunststücke mit einem Handspiegel, damit sie auch ihren Hinterkopf bewundern konnte. Ja, tatsächlich: Sie war wieder eine Blondine.
»Was denkst du, Suze?« Cassie
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