Ein Geschenk von Tiffany
Muskeln traten hervor wie Stränge. »Komm«, wiederholte sie und gab ihm einen leichten Schubs.
Er schaute zuerst sie an, dann Cassie und Gil. »Ja«, knurrte er.
Cassie schluckte und schlang die Arme um ihren Oberkörper. Sie wusste nicht, ob sie es gut fand, dass sie plötzlich mit ihrem Noch-Ehemann allein gelassen wurde. Es war eine Sache gewesen, zu ihm zu fahren. Sie hatte im Zug genug Zeit gehabt, sich auf das Treffen vorzubereiten. Und die Überraschung auf ihrer Seite gehabt. Doch jetzt so plötzlich selbst überfallen zu werden, nur zwölf Stunden später …
»Ich hatte nicht erwartet, dich zu sehen«, bemerkte sie.
»Wiz hat gesagt, dass du vorbeigeschaut hast.«
Vorbeigeschaut? Sie war extra aus Südengland angereist, eine achtstündige Zugfahrt. Als »vorbeischauen« konnte man das nicht bezeichnen. »Es war kein Freundschaftsbesuch.«
Gil wandte den Blick ab, als habe er das nicht gehört. »Tolle Aussicht.«
»Ja.«
Er sah sie wieder an. »Könnten wir uns vielleicht einen Moment hinsetzen und … reden?«
»Wie du willst.«
Sie setzten sich und ließen den Blick über die Landschaft schweifen. Die Schwalben, die am Himmel miteinander Haschen spielten, die Kühe, die im saftigen grünen Gras weideten, Mohn und Vergissmeinnicht, die ihre Köpfe in der Brise wiegten.
»Woher wusstest du, dass ich hier bin?«
»Ich habe Mrs Conway gefragt.«
Cassie lächelte. Ja, natürlich! Sie hatte die Hochzeit erwähnt, als Entschuldigung dafür, dass sie nicht über Nacht bleiben könne, wie die Haushälterin vorgeschlagen hatte.
»Ich habe die Papiere dabei.«
»Ja, das dachte ich mir. Aber du hättest sie nicht selbst bringen müssen. Du hättest sie einfach meinem Anwalt schicken können.«
Gil schaute sie fast panisch an. Seine übliche Gelassenheit hatte ihn verlassen. »Ich musste dich unbedingt selbst sehen. Ich wollte sichergehen, dass du … es wirklich für das Richtige hältst.«
Cassie hob fragend die Augenbrauen. »Du etwa nicht?«
»Nein, eigentlich nicht.«
Sie atmete ganz langsam ein. Henry hatte also recht gehabt. »Du hast Katz und Maus mit meinem Anwalt gespielt.«
»Mir blieb keine andere Wahl. Ich wusste ja nicht, wo du warst. Keiner wollte es mir sagen. Kelly, Anouk und Suzy haben immer gleich aufgelegt, wenn ich anrief. Und als du dann den Ehevertrag nicht angefochten hast …« Er zuckte die Achseln. »Die Scheidung wäre einfach durchgegangen. Du hast mir nie eine Chance gegeben, dir alles zu erklären.«
»Was gibt’s denn da noch zu erklären?«, fragte Cassie angespannt.
Er schwieg eine Minute, als wäre er im Gericht und würde sich für sein Schlussplädoyer sammeln. Aber hier gab es keine cleveren Ausreden.
»Ich weiß, was ich getan habe, ist unentschuldbar«, gestand er schließlich. »Aber ich wollte dir nie wehtun! Ich habe das nicht geplant. Das mit mir und Wiz. Und schon gar nicht das mit Rory.« Er hob die Faust an den Mund und hüstelte.
»Er ist ein toller kleiner Bursche«, bemerkte Cassie, »du hast großes Glück.«
Gil nickte. »Ja.«
»Also wann hat es denn angefangen? Mit dir und Wiz?«
Er schluckte nervös und wandte den Blick ab. »Als du zu deiner Mutter nach Hongkong gefahren bist.«
»Nach Vaters Beerdigung?« Sie konnte es kaum fassen.
»Ja.«
Dass er sie betrogen hatte, während sie um ihren Vater trauerte! Das war noch schlimmer, als sie gedacht hatte. »Und Wiz hat mich ermuntert, doch eine Zeitlang bei Mutter zu bleiben«, murmelte sie. Sie schaute ihn an. »Sie muss gewusst haben, dass es zwischen euch passieren wird.«
Gil schüttelte den Kopf. »Also ich hab das nie geplant. Es ist einfach … passiert.«
»Sagen das nicht alle Ehebrecher?« Cassie war fast enttäuscht über die Klischeehaftigkeit ihrer Situation.
»Ich habe unsere Ehe zu selbstverständlich genommen, Cass, das ist mir jetzt erst klar geworden. Ich habe unterschätzt, was wir hatten, und dich vernachlässigt.« Er schaute sie offen an. »Und es war falsch von mir, dir ein Kind vorzuenthalten. Wo du dir doch so sehr eins wünschst.«
Cassies Blick war auf die Kuhherde gerichtet. Ein Kälbchen lief seiner Mutter hinterher. Ihre Lippen zitterten. Jetzt endlich gab er das zu. Cupcakes Geburt hatte all die alten Sehnsüchte wieder geweckt, den alten Schmerz.
»Du fehlst mir, Cass.«
Sie spürte, wie er über ihren Unterarm strich, federleicht. Sie war wieder im Spiel. Sie bekam eine Gänsehaut bei dem Gedanken. Ihr war nie in den Sinn gekommen, dass ihr
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